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In Anmut. Das für den Flötenlehrer und Komponisten Johann Joachim Quantz geschaffene Denkmal gehört wohl zu den schönsten auf dem Alten Friedhof.

© Manfred Thomas

Kultur: Als ob sie nur schlafen

Mit Quantz, Bonness und von Bergmann – Ein ganz persönlicher Spaziergang über den Alten Friedhof

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Der russische Krimi-Autor Grigori Tschachartschwili, bekannt auch als Boris Akunin, schrieb, dass Friedhöfe das Geheimnis der Zeit bergen, die vor uns war. Aber sie flüstern auch von der Zeit, die nach uns kommt. Im vergangenen Sommer besuchten wir vier Friedhöfe in und um Potsdam und haben Erstaunliches entdeckt, sei es in der Historie oder in der Kulturgeschichte. Heute laden wir zu einem letzten Streifzug zu Stätten der Ruhe und des Gedenkens ein. Nach den russisch-orthodoxen Friedhöfen (PNN vom 19. Juli,) dem Friedhof in Grube (28. Juli), der Grablege in Klein-Glienicke (13. August) folgt der Alte Friedhof an der Heinrich-Mann-Allee.

Mitten in der Stadt beerdigten die Bürger Potsdams ihre Toten, rund um die Katharinenkirche am heutigen Alten Markt. Doch 1721, als König Friedrich Wilhelm I. sie abreißen ließ und ein neues Gotteshaus mit dem Namen St. Nikolai baute, wurde auch der Kirchhof geschlossen. Von nun an wurden die Särge mit den Verstorbenen vor die Tore der Stadt getragen. Auch vor das Berliner Tor, obwohl ungern. Denn auf dem Gelände des heutigen Klinikums „Ernst von Bergmann“ befand sich der Pestfriedhof, der 30 Jahre später geschlossen wurde.

Die Stadtväter entschieden sich für eine Neuanlage vor dem Nauener Tor, in der Gegend um die Eisenhartstraße/Am Neuen Garten. Doch Friedrich Wilhelm II. missfiel dieser Friedhof in der Nähe seines Neuen Gartens. Bei Neubelegungen stiegen aus den geöffneten Grüften unerfreuliche Gerüche herauf. Verursacht wurden sie durch den hohen Grundwasserstand und der damit verbundenen unvollständigen Verwesung von Leichen. Der König ließ den Friedhof 1796 kurzerhand schließen. Noch im selben Jahr wurde jedoch ein neuer eröffnet: draußen in der Teltower Vorstadt.

Über den heutigen Alten Friedhof war 1855 Folgendes zu lesen. „Dieser bildete früher ein höchst unfreundliches bewaldetes Terrain, dessen halbversunkene Todtenhügel und verwitterte Monumente eher einer Wüste glichen als einem das Herz mit einer milden Wehmuth erfüllenden Friedhofe. Dieser wurde durch Umwandlung in einen freundlichen Garten, welcher nach Lenné’s Plan vor einigen Jahren begann, eine das Andenken der Verstorbenen ehrende Ruhestätte.“

In der Tat, kein grauer Totenacker ist heutzutage der Alte Friedhof, sondern eine stille und gepflegte Parkanlage mit großen alten Bäumen, weiten Rasenflächen und dazwischen Denkmälern. Um 1924 heißt es: „Der Friedhof ist das, was er ist, durch seinen sorgfältig gepflegten alten Baumbestand in den stattlichen Längs- und Queralleen. Dass aber Blumen, Sträucher, Bäume, Baumgruppen, Alleen, dass immergrüne mit den Laubbäumen so wunderbar zusammenstimmen, und dies alles wieder mit dem vorhandenen Baulichkeiten harmoniert, beruht nicht zuletzt auf der Tüchtigkeit der Potsdamer Gartenschule“.

Natürlich erhielt der Friedhof auch eine Leichenhalle, entworfen vom Schinkel-Schüler Ferdinand von Arnim. Dieses Gebäude mit dem Giebelrelief des Bildhauers Wilhelm Koch entstand 1851 mit den Finanzen des Kaufmanns August Friedrich Eisenhart. Der in Potsdam bekannte Wohltäter Eisenhart und seine Familie fanden ihre letzte Ruhestätte dann auch in unmittelbarer Nachbarschaft der Friedhofskapelle. Längst ist sie auf dem Alten Friedhof ihrer ursprünglichen Bestimmung als Leichenhalle enthoben. Der in den vergangenen Jahren sanierte Bau – ein architektonisches Kleinod des Spätklassizismus – beherbergt heute die städtische Friedhofsverwaltung. Die Trauerfeiern finden in der 1930 fertiggestellten Kapelle auf dem gegenüber liegenden Neuen Friedhof statt.

1865 erhielt der Alte Friedhof Grabdenkmäler, die einst auf dem geschlossenen Friedhofsareal vor dem Nauener Tor standen. So das für den Flötenlehrer und Komponisten Johann Joachim Quantz und für den Bildhauer Johann Peter Benckert. Beide dienten Friedrich dem Großen. Des Musikers Denkmal, heute eine Kopie, gehört wohl zu den schönsten auf dem Friedhof. Der König gab dafür höchstpersönlich den Auftrag an die Bildhauer-Brüder Johann David und Johann Lorenz Wilhelm Ränz. Eine im Schlaf versunkene Frau sitzt auf dem Sockel, neben ihr ein Kind, das ebenfalls nur schlummert. Zwei Flöten liegen auf dem rechten Arm der Schlafenden. Man hat den Eindruck, dass sie in jedem Moment wieder erwachen und ein Menuett von Meister Quantz zum Besten geben.

Auch andere interessante Namen von lokaler und überregionaler Bedeutung findet man auf so manchem Grabstein. Den des Juristen und Sozialreformers Franz Hermann Schulze-Delitzsch, gestorben 1883, des Heimatforschers und Begleiters Fontanes bei seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ Heinrich Theodor Wagener, gestorben 1894 oder des Chirurgen Ernst von Bergmann, gestorben 1907. Auch der Orgelbauer Alexander Schuke, gestorben 1933, fand hier seine letzte Ruhestätte. Ebenso der Verlagsbuchhändler August Bonness. Der 54-Jährige wurde am 4. Dezember 1944 im Zuchthaus Brandenburg mit dem Fallbeil hingerichtet. Freislers Volksgerichtshof machte ihn zum Vorwurf, er habe „vor Mitgliedern der Potsdamer Casino-Gesellschaft und einem Angestellten seines Verlagsgeschäftes wiederholt durch defaitistische Reden den deutschen Selbstbehauptungswillen zu zersetzen versucht“. Eine Gedenktafel erinnert an Bischof Rulemann Friedrich Eylert, gestorben 1852. Er war der wichtigste Berater des Königs Friedrich Wilhelm III. in theologischen und kirchenpolitischen Fragen. In dessen Auftrag formulierte er 1817 den Aufruf zur Union von Lutheranern und Reformierten.

Dass Potsdam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich immer mehr als eine Stadt der Wissenschaften verstand, wird auch an den Grabsteinen von Astronomen und Astrophysikern deutlich, die in dem 1870 gegründeten Observatorium auf dem Telegraphenberg tätig waren: So Friedrich Robert Helmert, gestorben 1917, der die Grundlagen für die mathematischen und physikalischen Theorien der Erdmessung schuf, wurde auf dem Alten Friedhof beigesetzt, ebenso der Physiker Adolf Miethe, gestorben 1927, oder der Stadthistoriker Hans Kania, gestorben 1952.

Unübersehbare Denkmäler fanden auf dem Friedhof ihren Platz, so das für das Potsdamer Dienstmädchen Eleonore Prochaska, gestorben 1913. Unter dem Namen August Renz nahm sie als freiwilliger Jäger im Lützowschen Korps gegen die napoleonische Besetzung teil. Sie wurde am 5. Oktober 1813 während der Schlacht an der Göhrde tödlich verwundet. Eleonore fand auf dem St. Annen-Friedhof im niedersächsischen Dannenberg ihr Grab. In ihrer Heimatstadt weihte man 1889 das Denkmal ein. Pompöser fiel das für die rund 2000 Soldaten aus, die in den Lazaretten Potsdams starben. Sie kämpften gegen Napoleon in den Schlachten von Großbeeren, Dennewitz und Leipzig. Die deutschen, österreichischen, russischen und schwedischen Soldaten wurden in einem Massengrab beigesetzt. Auf dem Denkmal von 1815 liest man unter anderen die Worte: „Heil euch, edle Streiter! Dank und Lohn, die ihr den Feind des Herrn geschlagen “

Weniger salbungsvoll, doch auch nicht ohne Pathos empfindet mancher Besucher die vertieft liegenden Ringgräber für Urnenbestattungen, die in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts angelegt wurden. Zusammen mit der Glockenstele von Werner Nerlich entstand ein Ehrenfriedhof vor allem für SED-Funktionäre und Arbeiterveteranen. In einem dieser Areale entdeckt man den Namen des heute fast vergessenen Malers Kurt-Hermann Kühn, gestorben 1989, der zu DDR-Zeiten eine führende Stellung im Künstlerverband innehatte. Die meisten Ringgräber wurden nach 1989 nicht mehr belegt. Wildwuchs breitet sich über ihnen aus. Es scheint, dass niemand mehr den Wunsch hat, dass die Erde sie hier zur letzten Ruhe aufnimmt.

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