Kultur: Am Abgrund
Die Grande Dame des polnischen Films, Agnieszka Holland, im Filmmuseum
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Es hat etwas Psychedelisches, nach einem Film wie „In Darkness“ an einem milden Frühlingsabend hinaus auf die Breite Straße zu treten und kurz darauf den Studentenclub zu passieren, wo Leute Anfang, Mitte zwanzig friedlich beieinander sitzen und das leichte Leben genießen. Als hätte es nie eine andere Selbstverständlichkeit gegeben. Als wären andere Szenarien schlechthin nicht vorstellbar. Nach dem Abend mit der Grande Dame des polnischen Kinos, Agnieszka Holland, im Filmmuseum indes wirkt diese deutsche Gegenwart wie eine Zumutung. Wie der falsche Film. Nicht ohne Grund könnte man fragen: Warum haben sich all diese Studenten diesen Film nicht angesehen? Man könnte das aber auch umkehren und fragen: Muss man sich einen solchen Film noch antun?
Als Beitrag zum polnischen Filmfestival, das derzeit zum zehnten Mal in Berlin und Potsdam ausgetragen wird und noch bis zum 29. April läuft, hätte man sich für die Potsdamer Dependance am Freitagabend keinen stärkeren Einsatz wünschen können. Mit dem Dokumentarfilm „The Returns of Agnieszka H.“ von Krystyna Krauze, einem Podiumsgespräch mit dem leibhaftig anwesenden Ehrengast Agnieszka Holland selbst und dem als Oscarkandidat angetretenen Zweite-Weltkriegs-Epos „In Darkness“ war alles bereitet, um Cineasten scharenweise in das Kino im Filmmuseum zu locken. Doch gerade mal annähernd dreißig Zuschauer waren gekommen, um jener Frau, die wie keine andere für die starken Leistungen des polnischen Filmschaffens steht, zu huldigen. Ein trauriger Schnitt. Und man könnte darüber spekulieren, warum das so ist. Kampf um Quote – gleichzeitig findet das Sehsüchte-Festival statt. Zu intellektuell? Zu wenig Werbung? Zu satt?
Doch das markiert auch den Unterschied zwischen den Spielstätten. Bei der Eröffnungsveranstaltung letzten Mittwoch im Berliner Babylon herrschte noch großes Bohei. Zu Recht. Seit seiner ersten Austragung wächst das Festival „filmPOLSKA“ unaufhörlich und markiert inzwischen das größte polnische Filmfestival außerhalb Polens. Der Erfolg der Initiatoren vom polnischen Kulturinstitut und ihrer Co-Partner wie vom Potsdamer Filmmuseum exemplifiziert sich im Umfang eines Programms, das bereits den der Berlinale übertrumpft.
Agnieszka Holland ihrerseits, so gibt sie in dem gut zwanzigminütigen, rührenden Gespräch mit Rainer Mende vom Polnischen Institut Leipzig unumwunden zu, hat in ihrem Leben so viele Filme gemacht, dass sie sich kaum noch an jeden einzelnen erinnern kann. Auch die oft gestellte Frage nach dem Liebling unter ihren Werken vermag sie nicht zu beantworten, es sei denn das jüngste, hier erginge es ihr wie mit den eigenen Kindern und Enkelkindern. Die Vita der Präsidentin der Europäischen Filmakademie ist beeindruckend: 1948 geboren, erlebte sie den Prager Frühling während ihres Filmstudiums an dortiger Filmfakultät und büßte ihr Engagement mit einem Monat Haft – eine „gute Erfahrung“, wie sie sagt, ohne auch nur annähernd böse, verbittert oder gar melancholisch zu sein.
1981 exilierte sie nach Frankreich und schrieb später zusammen mit Slawomir Idziak, Krzysztof Kieslowski und Krzysztof Piesiewicz das Drehbuch für „Drei Farben Blau“. Hierzulande am bekanntesten sind ihre Filme „Hitlerjunge Salomon“ (1990) und „Klang der Stille“ (2006). Heute pendelt sie zwischen Polen, Frankreich und den USA, wo sie aktuell die Fernsehserie „House of Cards“ dreht.
Tatsächlich darf man die Frage stellen, ob ein Film wie „In Darkness“ nach formalen Ausreizungen, wie sie Steven Spielberg mit „Schindlers Liste“ und Roman Polanski mit „Der Pianist“ zuwegegebracht haben, notwendig ist. Kinematografisch betritt der Film kein Neuland. Doch an einem entscheidenden Punkt geht er ein großes Stück weiter. Der in dem Film beschriebene Fall geht auf eine wahre Begebenheit zurück, die sich während der deutschen Besatzung in Lwiw (Lemberg) zugetragen hat. Eine Gruppe Juden flieht in die Kanalisation und überlebt zwischen den menschlichen Exkrementen anderer und zahllosen Ratten vierzehn Monate bis Kriegsende.
Doch mit dem Ende dieses erbarmungslosen Films hat die Geschichte noch keinen Abschluss gefunden. Der Pole und Held wider Willen, Wanda Socha, der die Regenüberflutung der Kanalisation selbst nur knapp überlebt, wird nach dem Krieg von einem russischen Lkw überfahren, als er versucht, seine Tochter vor eben diesem zu retten. Das ist wirklich passiert. Und es lässt in der Seele des Zuschauers unendliche Trauer, Frustration und Wut zurück. Zu viel für einen Menschen in Friedenszeiten, würde man meinen. Ob man einen solchen Film braucht? Sicher. Und nicht einmal zynisch muss man sagen: Man weiß ja nie, was noch kommt.
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Ralph Findeisen
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