Schloss Sacrow: Am Pranger
Nach abgeschlossener Dekontaminierung des bleiverseuchten Schlossparkes präsentiert das Schloss Sacrow zu seiner Wiedereröffnung die Ausstellung "Paradestücke" zum 300. Geburtstag Friedrich des Großen.
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Bleizucker und Bleiweiß waren es, die das Schloss und den Park Sacrow fast drei Jahre für die Besucher gefährlich werden ließen: eine giftige Hinterlassenschaft, die 200 Jahre zur Textilfärbung diente. 2009 tauchten diese toxinen Ablagerungen wieder auf. Inzwischen sind 5330 Tonnen Erde ausgewechselt und gewaschen worden. Bis 2,50 Meter in die Tiefe drangen die Bagger vor und bargen nicht nur Blei, sondern auch Munition, die einst nahe dem Schloss produziert wurde. Fast allegorisch für die nun ab Samstag öffnende Ausstellung „Paradestücke“, die sich mit politischem Biss, mal plakativ, mal mit Hintersinn Friedrich II. und natürlich auch seiner Kriegsführung nähert.
Diese Ausstellung steht zuallererst für eine gute Nachbarschaft. Denn der Verein Ars Sacrow, der das Schloss seit 2002 zum Ort von Konzerten, Lesungen und einmal im Jahr auch von raumgreifenden Ausstellungen macht, hat sich nach der Zwangspause nun auf die in der Nähe arbeitenden Künstler aus dem Neuen Atelierhaus Panzerhalle in Groß Glienicke konzentriert. Die hatten ursprünglich vor, ihre von allen 19 Atelierhaus-Künstlern präsentierten „Paradestücke“ im Kunstraum des Waschhauses zu zeigen. Doch nach dem Wechsel des dortigen Kurators war es mit dem Vorhaben vorbei.
Nun haben sie ihre durch einen dünnen königlichen Faden verbundenen, sehr individuellen Installationen, Objekte, Gemälde, Skuplturen und Videoarbeiten originell und sinnstiftend in die 17 Räume und Flure des maroden Schlosses eingepasst. Unter größtem Zeitdruck, wie die Kuratorin Birgit Möckel beim Pressegespräch am gestrigen Mittwoch sagte. Im Juni ging Ars Sacrow auf den Generaldirektor der Schlösserstiftung, Hartmut Dorgerloh, zu, und dieser nahm die Idee an, drinnen und draußen parallel die Dekontaminierung laufen zu lassen. Die kostete eine Dreiviertelmillion Euro und ist nun abgeschlossen. „Natürlich sind die Wunden noch zu sehen, aber die Natur wird sie bald schließen. Dieses Atemholen hat vielleicht auch die Lust auf Sacrow wieder verstärkt“, so Dorgerloh, der weiterhin auf den maroden Charme dieses Schloss-Provisoriums setzt. Weder seine Stiftung noch Ars Sacrow haben es eilig, hier Perfektion und vielleicht einen Hotelier einziehen zu sehen.
Die Künstler füllen jedenfalls mit politischer Direktheit und auch augenzwinkernder Poesie die mit Blümchentapete und bröckelndem Putz überzogenen Wände, die nun von Macht und Mythos, Gleichschritt und Individuum erzählen. Windhunde und graziöse Damen, die Bettina Schilling aus Pappe schnitt und am Treppenlauf drapierte, stimmen erfrischend auf den friederizianischen Zeitgeist ein. Auf dem Treppenpodest glitzern unter brüchiger Silberfolie, die Carsten Hensel gerade um Sonnenschirm, Schubkarre oder Badewanne wickelt, abschottende Alltagsdinge, die Aufstellung nehmen und den alten Glanz hinterfragen. „Zug um Zug“ entwickelt sich indes das königlich strategische Spiel auf den Schlachtfeldern, das Michael M. Heyers mit seinen überlebensgroßen Schachfiguren aus weißer Linde im Spiegelsaal nachstellt. Der Turm ist bereits gefallen.
Brutalität geht von den an die Wand gelehnten zwei deutschen Adlern im Jagdzimmer aus, die Silvia Klara Breitwieser auf Gittern mit vorstehenden Spitzen kopflos aufstach. Die stolzen Vögel, einst Symbol für Freiheit und Kraft, sind hier in einem Drahtgitter gefangen und an den Pranger gestellt.
Viel feiner kommt die Botschaft von Anna Werkmeister herüber, die von den Schlachtplänen Friedrichs II., die sie vor allem grafisch interessant fand, inspiriert wurde. Ihre schwarzen Bienen – „Strategisch - unterwegs“ – bevölkern die weißen sonnenbeschienenen Wände. Auf dem ersten Blick ein unbeschwerter Flug. Doch dann hört man ein Surren. Über der Tür läuft ein Video, das aus den Bienenschwärmen plötzlich in der Fantasie angreifende Flugkörper werden lässt. Inmitten der gemalten Bienen stehen drei schwarze Schieferkörper von Sigrid Becker: vorn eine geduckte helmgleiche Form, dann das Paradestück, spitz aufgerichtet wie die Kopfbedeckung eines preußischen Grenadiers. Dieser Raum ist eine tolle Symbiose zweier Künstlerinnen.
Und natürlich dürfen bei Friedrich die Kartoffeln nicht fehlen. Im Kaminzimmer in einem bodenfüllenden Rechteck liegen sie eng aneinander geschmiegt. Darüber gibt es Grafiken von Börsenkursen. Beret Hamanns nach einem Kinderspruch benannte Arbeit „Eins, zwei, drei, vier – die Kartoffel gehört mir“ prangert offensiv das Geschäft mit Lebensmitteln an. „Hier wird gezockt und woanders verhungern aufgrund der Preistreiberei die Menschen“, so die Künstlerin. Bleibt abzuwarten, ob ihre Kartoffeln schrumpfen oder treiben.
Ab Samstag, 29. September, 14.30 Uhr, Schloss Sacrow, Krampnitzer Straße 33, bis 4. November Sa und So 11 bis 17 Uhr, Eintritt 2,50/erm. 1 Euro, unter 16 Jahre frei
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