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In seinem Potsdamer Gastatelier hat Gianin Conrad eine große Rauminstallation aus Fäden geknüpft. In der Mitte hängt, wie die Spinne im Netz, eine rücklings schwebende Figur.

© Andreas Klaer

Von Almut Andreae: Anbandeln mit Potsdam

Gianin Conrad aus der Schweiz ist Gastkünstler im „sans titre“: Dort lädt er zum „open Atelier“ ein

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Am Ende seines zweimonatigen Stipendiums in Potsdam wird er eine Menge zu erzählen haben, der Künstler Gianin Conrad aus der Schweiz. Schon jetzt sorgen gerade die ersten Wochen nach seiner Ankunft Anfang September für reichlich Erzählstoff. Der Künstleraustausch, an dem der Anfang Dreißigjährige als Stipendiat teilnimmt, wurde 2003 zwischen seiner Heimatstadt Chur im Kanton Graubünden und Potsdam etabliert.

Die Umstände, unter denen Conrad seinen Aufenthalt als Gast des Atelierhauses sans titre antrat, erwiesen sich indes als unerwartet abenteuerlich. Von räumlichen Einschränkungen in dem ihm zugewiesenen Atelier angefangen bis hin zum Wasserrohrbruch sah sich Conrad vor etliche Herausforderungen gestellt. Die künstlerische Arbeit blieb da zunächst auf der Strecke. Dass sich nach den diversen Pannen der Anfangszeit sowohl das Kunsthaus sans titre als auch der Fachbereich Kultur und Museum für bessere Arbeitsbedingungen einsetzten, weiß der Schweizer Künstler zu schätzen. Unabhängig davon hat er im Hinblick auf seine Bedürfnisse als Potsdam-Stipendiat eine bessere Abstimmung unter den Organisatoren vor Ort stark vermisst. Es brauche ja nun doch einen gewissen Moment, sich in einer fremden Stadt zurechtzufinden, resümiert er angesichts dieser mit Oktober endenden Zeit. Zwei Monate sind da schon reichlich knapp. Gilt es doch, neben der eigenen künstlerischen Arbeit nicht nur die Topographie einer Stadt, sondern auch deren Szene zu entdecken. In Potsdam sagt Gianin Conrad, „wollte ich etwas machen, wo ich einen Austausch hab.“ Während des Kunststudiums hatte er dank eines Erasmus-Stipendiums bereits Berlin kennen und schätzen gelernt. Nun bot sich ihm im Rahmen des Künstleraustausches zwischen Chur und Potsdam die Chance einer erneuten Annäherung an die Region. Konkrete Erwartungen an seine Zeit in Potsdam habe er keine gehabt, erzählte Conrad gegenüber den PNN. „Ich wollte mich auf den Ort einlassen, wollte mich veräußern, über die Arbeit ankommen“, erklärt der Künstler im Gespräch. Als Stipendiat stünden ihm außer einem Atelier- und Wohnraum in Potsdam für die zwei Monate 2000 Schweizer Franken zu. Eine Vereinbarung, sich abschließend im Rahmen einer Ausstellung zu präsentieren, gäbe es nicht. Dennoch lädt Conrad am kommenden Samstag und Sonntag erneut wie schon am vergangenen Wochenende ein zum „open Atelier“ im Kunsthaus sans titre ein.

Potsdam findet er gleichzeitig „schwierig“ und „interessant“. Schwierig zum einem wegen des dominierenden Kulturtourismus. Auch, weil die kreative Szene in dieser Stadt aus seiner Sicht nicht so ohne weiteres erreichbar ist. Interessant zum anderen vielleicht auch deshalb, weil nicht alles einen ersichtlichen Reim ergibt.

In seinem Gastatelier hat Gianin Conrad eine große Rauminstallation aus Fäden geknüpft. In der Mitte hängt, wie die Spinne im Netz, eine rücklings schwebende Figur: ein fragiles Konstrukt aus Maßbändern, die er in Kleinstarbeit miteinander verflocht. „Raumanzug“ nennt er die in alle Richtungen in den Raum gespannte Arbeit. „Ich fand es interessant, ein Volumen zu spannen“, kommentiert er seine Novität. Als Bildhauer und Installationskünstler beschäftigt sich Conrad seit Jahren intensiv mit dem Raum und der Darstellbarkeit von Räumlichkeit. Während seines Aufenthaltes in Potsdam hat er Positionen geschaffen, die sich multiperspektivisch mit räumlichen Beziehungen auseinandersetzen. Zu einem „Scheiterhaufen“ türmt sich eine Arbeit aus rußgeschwärzten Hölzern auf. Noch im Übergangszustand befindet sich eine weitere großformatige Konstruktion, von Conrad aus rohen Balken zusammengezimmert. Modelle wie diese sind gleichzeitig Denkräume, in denen der Künstler seine Ideen zur räumlichen Erfahrung austariert. Seit einigen Jahren bereichert auch die Fotografie seinen künstlerischen Ausdruck. Als Projektionsfläche für die Dreidimensionalität eröffnet sie ihm einen imaginären Raum. Charakteristisch für seine Arbeitsweise ist, dass Gianin Conrad konstruiert: zunächst in seiner Vorstellung und dann mit unterschiedlichstem Material. Dass er immer wieder zurückkommt auf Zollstöcke und Maßbänder, hat mit der Verbindung zwischen unseren Gliedmaßen und den daraus abgeleiteten Maßeinheiten einiges zu tun. Sich künstlerisch mit Körpern und ihrer Beziehung zum Raum zu beschäftigen, ist letztlich auch eine Form von Beziehungsarbeit.

In der letzten Phase seines Potsdam-Stipendiums startet Gianin Conrad eine ganz spezielle Offensive. Bei verschiedenen Stippvisiten in den hiesigen Ausstellungsinstitutionen hatte insbesondere das Kulturcafé 11-line seine Aufmerksamkeit erregt. Ab heute bis zum 27. Oktober trifft man den Schweizer Künstler dort in den frühen Abendstunden an. Im Rahmen der von ihm ausgerufenen Aktion „Teil-Geber“ lädt er ein zur „Materialumwälzung“. Gemeint ist damit, dass man vor Ort Dinge abgeben kann, die Conrad nach seinem Gusto in neue Zusammenhänge bringt. Zu rechnen ist mit einfachen Objekten, die Sinn haben fürs Kuriose und Fragen aufwerfen werden wie „Ist das schon Kunst?“.

23./24. Oktober, 15-20 Uhr: open Atelier im Kunsthaus sans titre, Französische Straße 18. Vom 21. bis 27. Oktober, 18 bis 20 Uhr: „Aktion Teil-Geber“ im Kulturcafé 11-line, Charlottenstr. 119.

Almut Andreae

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