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Unterwegs. Katharina Marie Schubert hat am Burgtheater, den Münchner Kammerspielen und dem Deutschen Theater gespielt. Und sie macht eigene Filme.

© Thilo Rückeis

Kultur: Antigone geht ins Jobcenter

Im Kino wird man ein besserer Mensch, glaubt Katharina Marie Schubert. Jetzt ist sie in einer Filmsatire übers Theater zu sehen

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Alles muss raus. Der Wein, die Tränen, das Selbstmitleid. Anna kotzt sich aus. „Ich bin 36, ich hab keinen Job, keinen Mann, mein Leben ist eine einzige Katastrophe.“ Zwischen Trostversuchen der Freundin und Sprints zur Kloschlüssel zieht sie die bitterstmögliche Bilanz: „Ich bin sogar zu schlecht für die Provinz.“ Anna ist Schauspielerin. Ihr Vertrag an einer kleinen Bühne im Ländle ist soeben nicht verlängert worden. In der Klamotte „Immer wieder Silvester“ hatte sie zuletzt einen kompletten Blackout. Und, letztgültiger Ausweis der totalen Erfolglosigkeit in Deutschland: Sie war noch nie im „Tatort“. Im Jobcenter, wo sie sich schließlich wiederfindet, strahlt die Sachbearbeiterin sie an: „Sie haben die Julia gespielt!“ Woraufhin Anna entgegnen muss: „Das war eine Kollegin. Die ist auch blond“.

„Ein Geschenk der Götter“ heißt der Film von Oliver Haffner, in dem Katharina Marie Schubert eine Frau spielt, die ganz unten landet. Also rein äußerlich betrachtet erst mal das Gegenteil von Schuberts Werdegang. Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Gleich von Luc Bondy für eine Hauptrolle bei den Wiener Festwochen entdeckt. Danach Engagements am Burgtheater, an den Münchner Kammerspielen, am Deutschen Theater in Berlin. Und, na klar, im „Tatort“ war Schubert auch schon zu sehen. Aber wenn man sie fragt, ob sie froh sei, dass sie nie durch die Niederungen der Provinz musste, kontert sie: „Der Mensch ist doch so gebaut, dass er prinzipiell überall unzufrieden ist. Auch eine Meryl Streep fragt sich bestimmt: Wieso hab ich nur drei Oscars gewonnen? Ich war doch 18-mal nominiert!“

Anna im Film lässt sich in ihrer Not auf eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ein. Mit einer Gruppe unvermittelbarer Fälle studiert sie als Regisseurin die „Antigone“ des Sophokles ein. Antikes Arbeitslosentheater. In vielerlei Hinsicht passend. Weil es „die Geschichte einer Rebellin ist“, so Schubert. Weil sie zu der Zeit gerade die Rolle der Antigone in Stephan Kimmigs Inszenierung „Ödipus Stadt“ am DT für die schwangere Kollegin Katrin Wichmann übernommen hatte. Weil sie am gleichen Haus auch in der musikalisch schillernden „Elektra“ von Stefan Pucher brilliert. Als eine Courtney Love im Korsett der ewigen Rache. Sie staune oft, sagt Schubert, wie zeitlos die griechischen Tragödien menschliche Strukturen beschrieben. „Dass es in jeder Gemeinschaft einen gibt, der Anführer ist. Und einen, der ausgegrenzt wird.“ Weswegen alte Texte für sie „auch nicht unbedingt 2014 am Flughafen spielen müssen“.

Schubert legt ihre Anna als extrem liebenswerte Erniedrigte und Beleidigte an. Eine, die aus der selbst zugeschriebenen Rolle der Loserin herauszufinden lernt. Indem sie die Augen für andere öffnet. Das habe sie zur Drehzeit sehr interessiert, sagt Schubert: „Mal aus dem eigenen Film aussteigen und schauen: Was ist eigentlich mit meinem Gegenüber los?“ Im Grunde das, was David Foster Wallace in seinem Essay „This is Water“ beschreibt: nicht immer gleich denken, dass sich die 20 Leute an der Supermarktkasse vor einem nur zu dem Zweck versammelt haben, einem den Feierabend zu vermiesen.

„Ein Geschenk der Götter“ ist auch eine Geschichte über Erfolg und Druck. In einer tollen Szene besäuft sich Anna mit einem eitlen Provinzregisseur und beschließt Gegenstrategien: „Faul sein! Fett werden! Die Brandbombe gegen den Leistungsfaschismus!“

Fragt man Schubert, ob sie damit auch konfrontiert sei, antwortet sie mit einem sehr smarten Exkurs über Erwartungen. Wenn jemand fordere, man solle sein Zimmer aufräumen, dann könne man dem entsprechen. Oder eben nicht. „Es gibt aber viel perfidere Erwartungen, die sich als eigener Wunsch tarnen.“ Wenn sie den Impuls verspüre, sich gesünder zu ernähren und nicht zu rauchen, „dann ist das vielleicht gar nicht mein Verlangen, sondern das meiner Krankenkasse“.

Keine Frage, dass sie eine tolle Partnerin für einen Theaterschnelldenker wie René Pollesch ist, mit dem sie in München das Stück „Schändet eure neoliberalen Biografien“ erarbeitet hat.

„Ein Geschenk der Götter“ ist erkennbar geschult an der britischen Working-Class-Komödie à la „Brassed Off“ oder „The Full Monty – Ganz oder gar nicht“. Regisseur Haffner, in dessen Künstlersatire „Mein Leben im Off“ Schubert 2009 schon eine Hauptrolle gespielt hat, fängt deren humanistischen Geist sehr eigen und berührend ein. Den Marketingslogan „Eine Mutmacherkomödie“ auf dem Plakat muss man allerdings nicht mögen. „Wenn man per se ein schüchterner Mensch ist, wird der Film einen nicht zum Klassensprecher machen“, sagt Schubert dazu nur.

Aber sei’s drum. An die positive Kraft des Kinos glaubt die Schauspielerin durchaus. Da spricht ihre Erfahrung als Regisseurin. Schubert hat bereits zwei eigene Kurzfilme geschrieben, inszeniert, produziert und gespielt. „Another fucking“ – eine schön schräge Sinnsucherliebeskomödie – ist auch ein Festivalerfolg geworden. Wenn die Identifikation im Guten funktioniere, „ist man im Kino ein besserer Mensch als im Leben“, glaubt Schubert. „Weil man für Gerechtigkeit ist und dem Bösen die Pest an den Hals wünscht. Weil man kein bisschen opportunistisch ist.“ Wie in der Kirche sei das. Richtig und falsch leicht zu unterscheiden. „Deswegen sollten die Menschen ins Kino gehen, statt in den Krieg zu ziehen.“

Gilt das auch fürs Theater? Schubert lächelt. „Wenn Kino die katholische Kunstform ist, dann ist Theater die protestantische.“ Der Film für die Emotionen. Die Bühne mehr aufs Denken ausgerichtet, auf den Geist. Was sie großartig findet. „Nachdenken über Gesellschaft – das ist doch der politische Auftrag des Theaters.“ Dem fühlt sie sich auch weiterhin verpflichtet. Das Ensemble des Deutschen Theaters hat sie zwar inzwischen verlassen. Als Gast bleibt sie dem Haus aber verbunden. Sie möchte in erster Linie Raum haben für ihre eigenen Projekte: „Morgens und abends proben und dazwischen schreiben, das funktioniert nicht.“

Jedenfalls hat sie kein Betriebsüberdruss befallen, wie der Haffner-Film ihn nahelegen könnte. „Ein Geschenk der Götter“ ist ja auch eine tolle Satire auf die Theaterwelt mit ihrer Eitelkeit, Missgunst, Verlogenheit. Wo Kolleginnen hinter Annas Rücken lästern: „Jetzt steht sie mit den Assis auf der Bühne.“ Wo Regisseure sich von Schauspielerinnen daheim beköstigen lassen. Oder sich zum Westentaschendiktator aufschwingen – ein kurzer Irrweg, den auch die Jobcenter-Regisseurin Anna vor ihrer Läuterung nimmt.

Das alles kennt Katharina Marie Schubert nur bedingt aus eigener Erfahrung. Zum Glück. Sie bringt die Theaterwelt eher auf die Formel, „dass niemand Böses will, aber alle sind eben schwach“. Was dagegen helfen kann, macht ihre Figur vor: „Nicht immer nur aufs eigene kleine Leben schauen.“

„Ein Geschenk der Götter“ startet am Donnerstag im Kino.

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