Kultur: Apokalypse
Werner Schroeter im Thalia mit „Diese Nacht“
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Werner Schroeter ist einzigartig. Gäbe es ihn nicht, müsste man ihn erfinden: ungeheuer schwarz gekleidet, schmal, sehr schmal das Gesicht, wirkt er aristokratisch und seine Sätze, die unter dem schwarzen Hut, der fast das feine Gesicht mit dem spitzen Bart verhüllt, herausdrängen, sind gedrechselt, intelligent und sicher. Auch wenn er husten und sich vom Publikum wegdrehen muss, um seine Sprache wieder zu finden, die ihm kurzzeitig abhanden kommt, weil er die Krankheit nicht verleugnen kann.
Werner Schroeter, ein Monument des deutschen Kinos, dreht schon seit Jahrzehnten hauptsächlich im Ausland, sein hierzulande wohl bekanntester Film dürfte „Malina“ mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle der besessenen, kettenrauchenden Ingeborg Bachmann sein. Schroeter erhielt im letzten Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig, wo er „Diese Nacht“ präsentierte, den Spezialpreis der Jury für sein „innovatives, kompromissloses und oft provokantes Werk“.
Am Samstagabend stellte er sich im Thalia Kino nach der Aufführung von „Diese Nacht“ dem Publikum. Der Film bietet eine bilderreich ausgestattete, musikalisch opulente Apokalypse. Nächtlich, mythisch, mit großen Helden, die zu Verrätern werden. Bis auf den Helden (Pascal Greggory), Luis Ossorio Vignale, überhaupt. Der nämlich sucht seine Geliebte Clara, die er nie finden wird, denn kurz bevor er das Schiff erreicht, auf dem er sie zu finden hofft, wird er erschossen. Die Stadt ist von der Miliz beherrscht. „Warum drehen Sie Ihre Filme immer in Frankreich?“ wollte Christiane Niewald vom Thalia wissen, und musste erfahren, dass dieser Film in Porto gedreht wurde, allerdings mit französischem Geld. Die Handlung spielt in einer Nacht, für den Dreh aber benötigte das Team die Nächte zweier Monate, von März bis Mai letzten Jahres. Bitterkalt sei es gewesen, sagte Schroeter, aber die Stadt biete eine einzigartige Atmosphäre. Die Frauen in der Geschichte sind, außer der nie sichtbaren Clara, allesamt Nutten, einmal steigt General Luis mit einer davon in die Badewanne und weist das nebenan wartende Kind barsch ab. Die Huren werden von den großen Mackern gezüchtigt, sie erfahren zwar, dass sie einen schönen Hintern unter dem verführerisch roten Kleid tragen, aber sie müssen büßen: da wird das Kleid aufgerissen und ein dicker Gürtel über die Fesseln geschwungen. Stets sind die Innenszenen von einer extremen, militärisch burschikos dräuenden Sexualität.
Da bietet auch die Musik von Mozart, Schubert, Rossini, Liszt, Beethoven oder Haydn, die Schroeter den schrecklichen Szenen auferlegt, keine Erleichterung. Schroeter gönnt dem Betrachter dieses Films kaum einen entspannenden Moment, gnadenlos liefert er ihn den (von dem großen Thomas Plenert fotografierten) Szenen aus.
Allerdings sagte eine Frau aus dem Publikum, sie habe sich „außen vor“ gefühlt, wie in einem Traum, als Betrachterin der Szenerie. So ist es nicht jedem ergangen, und dem Regisseur selbst auch nicht, Er berichtete, dass er 1983 in Argentinien mit Schauspielern arbeitete und das Projekt nach einigen Monaten abbrechen musste, weil die Drohungen der damalig noch herrschenden Diktatur ernst zu nehmen waren und das Leben der Familien der Schauspieler in Gefahr war. „Eine solche Verantwortung wäre für mein Leben unerträglich geworden“, sagte Schroeter und man glaubte ihm das, wollte dennoch die Ausweglosigkeit der Geschichte, die er nach einem Roman von Juan Carlos Onetti „innovativ neu erfunden“ hat, nicht ertragen müssen. Da kann der Christus, der aus der Kathedrale, die in Porto die Stadt überragt, noch so schön im Scheinwerferlichtleid zu wunderbaren klassischen Tönen in der Kirche hängen, eine solche Apokalypse ist sehr schwer zu ertragen.
Ob er gläubig sei, wurde der Regisseur, der 1945 geboren wurde, gefragt, und er wich aus. In anderen Interviews allerdings hat er auf diese Frage die eindeutige Antwort gegeben, dass er ein gläubiger Mensch sei. Lore Bardens
Lore Bardens
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