
© Andreas Klaer
Von Heidi Jäger: Attraktiver Nebenbuhler
Das Ofen- und Keramik-Museum Velten könnte Potsdam bei Hedwig Bollhagen den Rang ablaufen
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„Wer bist du, und warum hier?“. Die Worte Eva Strittmatters scheinen für diesen Moment geschrieben. Andächtig versinken rund 70 Zuhörer in die Gedankenwelt der Dichterin, zu deren 80. Geburtstag das Ofen- und Keramik-Museum Velten am Sonntag mit einer Lesung aufwartet. Unweigerlich schaut man auch auf eine andere Frau, die den weiten Fabrikraum mit ihren Arbeiten füllt: Hedwig Bollhagen. Hinter Glas von rund 20 Vitrinen sind sie aufgereiht, die unverwüstlich schönen und praktischen Gefäße, die mit ihren fröhlichen Punkten, klassischen Streifen oder spannungsvollen Quadraten auch heute noch jeden Tisch veredeln. Ein Charme, der den Zeitgeist überdauert.
Rund 500 Objekte, die das künstlerische Ouvrée der bedeutendsten Keramikerin der Moderne von ihren Anfängen bis kurz vor ihrem Tod umspannen, hat dieses Museum zu bieten und in einen lebendigen Kontext gestellt. Denn das Museum arbeitet Tür an Tür mit einer altehrwürdigen Ofenfabrik, die bis heute Wärmespender produziert. Und auch Hedwig Bollhagen hat einst für sie Kacheln entworfen und sogar selbst einen eigenen Ofen gefertigt: zwei Meter zieht sich das schwarz-grüne Prachtstück der Marke „HB“ neben den zig schlichten „Bulleröfen“ und reichverzierten gekachelten Schmuckstücken unter der weißen Holzdecke in die Höhe. Doch im Moment bestimmen weder er, noch die blau-weißen, schwarz-gelben oder grünschwarzen „Pötte“ das Gespräch.
Um den Ort wird gestritten, der künftig die Bollhagen-Dauerausstellung beherbergen soll. Da lohnt natürlich ein Ausflug, um sich selbst ein Bild zu machen. Und Velten präsentiert sich durchaus als ernstzunehmender Nebenbuhler Potsdams. Denn er hat etwas in die Waagschale zu werfen, was Potsdam nicht zu bieten hat: Die enge Verwobenheit mit dem Schaffen der Künstlerin, deren Geist in der Töpferwerkstatt in Marwitz kaum zwei Kilometer von Velten entfernt, weiter wirkt. Die Frage: „Warum hier?“, könnte also durchaus positiv beschieden werden, zumal Potsdam offensichtlich seine Chance verschlafen und zu wenig für das Haus „Im Güldenen Arm“ in der Hermann-Elflein-Straße gekämpft hat. Ob die Landeshauptstadt auf den letzten Metern seine drohende Niederlage noch wett machen kann, werden vielleicht schon die nächsten Tage entscheiden.
Der Frage „Wer bist du?“ würde sich angesichts der anhaltenden Diskussion um die Rolle von Hedwig Bollhagen in der Zeit des Nationalsozialismus natürlich auch Velten stellen, sollte es den Ausstellungszuschlag durch die Stiftung bekommen. „Doch bislang sind das alles noch ungelegte Eier. Wir machen uns Gedanken, wenn die Entscheidung gefallen ist“, versucht Veltens Museumsleiterin Nicole Seydewitz die Wogen der vergangenen Wochen zu glätten. Der umstrittene Kauf der Haël-Werkstätten von der jüdischen Vorbesitzerin Grete Loebenstein würde „folgerichtig und im entsprechenden Rahmen, aber auch nicht über Gebühr strapaziert“ aufgearbeitet werden, sagt die seit anderthalb Jahren in Velten arbeitete Wissenschaftlerin, die sich in ihrer Abschlussarbeit beim Studium an Martin-Luther-Universität Halle mit der Burg Giebichenstein und der Zeit des Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat, also profunde Kennerin dieser Thematik sein dürfte.
Bislang befinden sich die beiden Frauen, um die sich die politische Diskussion seit der großen Retrospektive im Haus der brandenburgisch-preußischen Geschichte vor gut zwei Jahren entsponnen hat, in einer merkwürdig anmutenden Symbiose. Denn gleich hinter den Bollhagen-Vitrinen im Ofen- und Keramik-Museum Velten ist derzeit eine Sonderschau zum 110. Geburtstag von Margarethe Heymann-Loebenstein-Marks zu sehen, wobei die Keramik den Ton angibt und das geschriebene Wort eher eine Randnotiz ist. In den biografischen Daten zu Grete Loebenstein ist nur zu lesen: „1934 Verkauf der Haël-Werkstätten an Dr. Heinrich Schild und Hedwig Bollhagen.“ Der Vorwurf, dass sie die 1933 stillgelegten Werkstätten für Künstlerische Keramik unter Wert gekauft haben und das als ein Fall der Arisierung gilt, ist in der kleinen Schau nicht thematisiert.
Doch wie der Museumsverband Brandenburg in einer Stellungnahme zum Standort für den Bollhagen-Nachlass schrieb, sei das Museum Velten seit Jahren dafür bekannt, dass es Keramik im gesellschaftlichen Kontext darstellt und vermittelt.
„Die Vergangenheit ist eine mächtige Kraft“, ist derweil in der Lesung zu hören und auch, dass das polemische Politisieren zurückzudrängen sei. Immer wieder gehen die Gedanken spazieren: von der Kraft der Lyrik zu der Kraft der Kunst von Hedwig Bollhagen. Und natürlich auch zu den vielen Farbtönen eines Lebens durch die verschiedenen Zeiten hinweg. „Wer wägt gerecht die eigene Schuld? Wie schnell hat man sich selbst vergeben. Doch das Gedächtnis hat Geduld, wenn andre uns mit Gram geschlagen. Wir wissen noch nach tausend Tagen Gewicht und Preis der fremden Schuld.“
Bollhagen in Potsdam? Natürlich gern. Aber auch in Velten wäre ihr Lebenswerk in guten Händen. Und an einem Ort, den es schon jetzt in seiner liebevollen Begegnung von Kunst und Handwerk zu besuchen lohnt. Auch von Potsdam aus: für all die facettenreichen Geschichten am Ofen.
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