Kultur: Audienzen bei Majestäten
RBB und Kulturfeste-Orgelexkursionen durch Potsdam, Brandenburg und ins Havelland
Stand:
RBB und Kulturfeste-Orgelexkursionen durch Potsdam, Brandenburg und ins Havelland Kaum eine Orgel in Deutschland, die sie nicht kennt. Seit zehn Jahren ist Sigrid Leonhardt der gute Geist der Hörerreisen vom RBB-Kulturradio. Am Freitag kommt die „Gemeinschaft der Verschworenen und Überzeugungstäter“, wie sie sich selber nennen, von einer Exkursion durch die sächsische Orgellandschaft aus dem Raum Freiberg ins Märkische zurück, um noch am selben Abend in der Friedenskirche dem Konzert mit Paolo Crivellaro beizuwohnen. Mit ihm eröffnet sich die Havelland-Etappe des rühmlichen „Orgelfestivals Brandenburg Berlin“, veranstaltet von den Kulturfesten. Das Programm des italienischen Organisten hält Vertonungen des Chorals „Freu dich sehr, o meine Seele“ bereit. Die barocke Partita-Variante von Georg Böhm breitet sich mit verinnerlichter Freude, mild leuchtend und lieblich aus. Die spätromantische Fantasie-Deutung von Max Reger setzt auf majestätische Klangmassen, wechselnd mit introvertierten Betrachtungen. Die moderne „Evocation II“-Version von Thierry Escaich (geb. 1965) schichtet dissonanzenreiche Klangblöcke zu zerklüfteten Gebilden, dabei mit Effekten der minimal music nicht sparend. „Na, alles gut überstanden?!“, begrüßen sich freudestrahlend am Samstagvormittag die Unermüdlichen, um in der Französischen Kirche am Potsdamer Bassinplatz von Andreas Kitschke die wechselvolle Geschichte des Gotteshauses und seiner Grüneberg-Orgel zu erfahren. In witzig-bewährter Weise erzählt er von den bisherigen „Königinnen“ in diesem Raum, witzelt über die „Säuselregister“ von Alexander Schuke und dessen Vorliebe für pneumatische Trakturen, um schließlich die Vorzüge der in Bärenklau entdeckten, von der Familie Matthias Schuke Potsdam restaurierten Grüneberg-Orgel zu preisen und klanglich ins rechte Licht zu rücken. Den RBB-Hörern ist es ein erfreulicher Beginn ihrer Landpartie. In St. Peter und Paul gibt Johanna Schell die Geheimnisse der von ihr einst jahrzehntelang traktierten Schuke-Orgel preis. Dabei sucht sie den Neugierigen einen Einblick in die Werkstattarbeit eines Organisten zu geben: Wie geht er an ein Stück heran, warum zieht er dieses und nicht jenes Register? Es sei wie ein Malkasten, so Schell, aus dem man auswählen und mischen kann. Eine Registerentscheidung sei immer von der Absicht und Aussage der Vorlage abhängig. Sie beweist es hörkräftig mit passenden Stücken. Nach soviel Schukereien ist es an der Zeit, dieser legendären Orgelbauwerkstatt einen Besuch abzustatten. Seit anderthalb Jahren ist sie im Werderschen Gewerbegebiet ansässig. Der Firmenchef nebst „Chefetage“ begrüßt die knapp fünfzig Orgelfreaks, die ihm fast alles aus dem Bauch fragen, was mit dem Innenleben des Instruments, dem Auftrag für die Riesenorgel im Magdeburger Dom mit ihren 93 Registern zu tun hat. Beim gruppenweisen Rundgang stolpert man über Stapel von Birnbaumbrettern, sieht hölzerne, acht Meter sechzig hohe 32-Fuß-Prinzipale in der Ecke stehen, kann den unterschiedlichen Fortschritt beim Bau von Windladen (insgesamt 22 müssen es werden) sehen. Barock und Romantik in einem Instrument zu vereinen, um so seinen „Gebrauchswert“ zu erhöhen, sei genauso Markenzeichen der Firma wie wieder auf die mechanische Schleiflade zu setzen. In einem anderen Raum warten Orgelteile aus der Suhler Kreuzkirche auf ihre Restaurierung. Auch hier ist des Fragens kein Ende. Manche glänzen dabei mit Fachwissen, das dem eines Branchenprofis durchaus gewachsen ist. „Wir versuchen aus großen Haufen von Holz und Zinn eine Orgel zu bauen“, bringt Matthias Schuke seine Bemühungen zur Kurzfassung. Wie sich das anhört, kann man wenig später in der St. Gotthardtkirche zu Brandenburg an der Havel hören, wo Fred Litwinski an der 1986 entstandenen Schuke-Orgel deren klangliche Möglichkeiten eindrucksvoll vorführt. Buxtehude ist mit einem g-Moll-Praeludium und einer Choralbearbeitung vertreten. Dann liefern „Insektarium“-Spezies (von Hornissen bis zu Kartoffelkäfern) ihre skurrilen Porträts ab. Andreas Willscher (geb. 1955) hat sie verfertigt wie auch die köstlichen „Sieben Improvisationen über den “Yankee Doodle''“. Die spielt Litwinski allerdings an der Wagner/Sauer/Schuke-Orgel von St. Katharinen, wohin die Fangemeinde weiter gezogen ist. Die prächtigen, für ihre Entstehungszeit typischen Prospekte beider Orgeln bieten zusätzliche Augenlust. Ohrenwonnen verbreitet am Abend das Konzert im Brandenburger Dom mit dem Bremer Organisten Harald Vogel. Er führt die historische Wagner-Orgel mit liturgischer (Toccaten) und programmatischer Musik von Johann Kaspar Kerll und Johann Kuhnau vor. Reizvoll die Gegenüberstellung einer Kerllschen „Battaglia“ mit Kuhnaus Suonata prima „Der Streit zwischen David und Goliath“. Die Übereinstimmungen sind frappierend – bis hin zur Verwendung von schnarrenden Trompeten- und besänftigenden Viola da gamba-Registern an fast identischen Stellen. Bachs Praeludium und Fuge g-Moll BWV 535 gibt, was des Instruments ist: üppige Klangpracht, ausgewogen, licht und leicht ausgebreitet. Erschöpft, aber glücklich kehrt ein jeder von der RBB-Exkursion heim.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: