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Haben die Zukunft im Blick. Die Ausstellungsmacherinnen Sophie Baar (l.) und Ulrike Günther.

©  Manfred Thomas

Von Almuth Andreae: Auf dem Sprung

„Gehen oder stehen?“: Eine Ausstellung befragt junge Brandenburgerinnen nach ihrer Zukunft

Stand:

Das Leben liegt zu einem Großteil noch vor ihnen. Sie sind 18, 21 oder 24 Jahre alt, befinden sich irgendwo an der Schwelle zwischen Elternhaus und der großen weiten Welt da draußen. Jungen Frauen in Brandenburg geht es da kaum anders als ihren Altersgenossinnen in den anderen Bundesländern. Oder vielleicht doch? Sind es doch die jungen Brandenburgerinnen, die im Fokus der Ausstellung „Gehen oder stehen?“ stehen, die „Zukunftspläne junger Frauen in Brandenburg“ in Wort und Bild beleuchtet.

Sophie Baar und Ulrike Günther, beide 20 Jahre alt, sind kurz davor, in Potsdam ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Kultur zu beenden. Am Freitagabend zogen sie in einer gemeinsamen Ansprache anlässlich ihrer Ausstellungseröffnung im Offenen Kunstverein Potsdam mit Blick auf ihr Projekt engagiert Resümee.

Für das in Thema und Format frei wählbare Projekt, das fester Bestandteil eines Freiwilligen Kulturellen Jahres ist, taten sich Sophie Baar und Ulrike Günther vor einigen Monaten zusammen. Beide hatten Lust, inhaltlich etwas über Frauen zu machen. Weil sie leidenschaftlich gerne fotografiert, entwickelte Ulrike Günther, die ihr FSJ beim Kulturland Brandenburg absolviert, die Idee, Porträts von Frauen zu machen. „Eine Untersuchung zur Lebenszufriedenheit und Bindungskraft zentraler Orte im Land Brandenburg“, als Studie vorgelegt vom Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik in Berlin, inspirierte sie und Sophie Baar dann zum gemeinsamen Projekt.

Dabei galt es unter anderem herauszufinden, warum junge Frauen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren verstärkt aus Brandenburg abwandern. Der Studie zufolge verließen zwischen 2003 und 2006 doppelt so viele Frauen wie Männer dieser Altersgruppe das Bundesland. Das Thema Bleiben oder Gehen ist für viele junge Leute ein Dauerbrenner. In Brandenburg bedeutet die – meist beruflich motivierte – Tendenz zur Abwanderung junger Frauen für die demographische Entwicklung ein nicht unerhebliches Dilemma.

Sophie Baar und Ulrike Günther sind selbst von der Entscheidung über anstehende Ortswechsel betroffen. Am Ende ihres Kulturellen Jahres steht auch bein ihnen die Frage: Bleiben oder gehen? Der erste Schritt weg von Zuhause liegt für beide gerade mal ein Jahr zurück. Sophie Baar war nach dem Abitur von Braunschweig nach Potsdam gekommen. Ulrike Günther erlebte den gleichzeitig vollzogenen Wechsel von ihrer Familie in Caputh nach Potsdam in ähnlicher Weise als Meilenstein. Für die Braunschweigerin wie für die Potsdamerin fiel die Wahl ihres Wunschstudienorts auf Leipzig. Und das, obwohl beide in Potsdam durchaus zufrieden sind. Welche Gründe sind es also, die junge Frauen in Gefilde außerhalb Brandenburgs lockt?

Die von Sophie Baar und Ulrike Günther über verschiedene Netzwerke gestartete Suche nach Frauen, die freimütig Auskunft geben über ihre Beweggründe, Brandenburg zu verlassen, stieß vor allem dort auf ein Echo, wo die Frauen gut lokalisierbar waren: in Brandenburg selbst. Es verwundert daher nicht, dass sich die Interviewpartnerinnen im Alter zwischen 18 und 28 in ihren Aussagen überwiegend gut mit ihrer Heimat identifizieren. Dennoch sprechen sie Benachteiligungen junger Frauen im Land Brandenburg offen an. „Ich glaube, junge Frauen verlassen das Land Brandenburg, weil sie beruflich hier nicht die Zukunft sehen“, vermutet Stephanie Günther (24). Die Kunststudentin Jenny Prestel (28) spricht vom selbst erlebten „innerlichen Drang, etwas Neues zu erfahren“. „Ich möchte nicht immer nur am gleichen Fleck bleiben“, liegt auch für Luisa Beuster (21) ganz klar auf der Hand. Christiane Handrow (21) stellt sich vor, zur Gruppe der Auswanderer und Rückkehrer zu gehören. Ihre Feststellung „Man will ja auch mal was sehen vom Leben“, beschreibt treffend das weltumspannende Gefühl, das junge Menschen zumindest vorübergehend in die Ferne zieht. Dann aber, so ergibt sich aus der Summe der fotografischen und textlichen Porträts beim Rundgang durch die Ausstellung, zieht es die Brandenburgerinnen offenbar wieder in die Heimat zurück. Weder der geringere Verdienst in den neuen Ländern noch der beklagte Mangel an Wahlmöglichkeiten und Perspektiven für junge Frauen in Ausbildung und Beruf halten sie ernsthaft von ihrem Vorhaben einer Rückkehr ab.

„Ich habe einen ganz neuen Blick darauf gewonnen“, sagte Sophie Baar dem Publikum am Eröffnungsabend. Während des Projekts gewann sie die Einsicht, dass die Entscheidung junger Menschen zu bleiben, wo sie aufgewachsen sind, nicht zwangsläufig mit mangelnder Risikobereitschaft gleichzusetzen ist. In diesem Sinne kommt auch Jenny Prestel infolge eigener Erfahrungen jenseits von Brandenburg zu dem Schluss, dass es toll wäre, „wenn die Leute hier bleiben und selber etwas auf die Beine stellen, mehr Mut dazu haben, nicht wegzugehen“.

Dank der ausdrucksvollen Farbfotografien von Ulrike Günther, die während der von Sophie Baar geführten Interviews entstanden, geben die beiden Frauen jungen Brandenburgerinnen, die vor der Wahl stehen, zu bleiben oder zu gehen, ein individuelles Gesicht. Persönliche Gegenstände der Befragten wie Zeichnungen, Fotografien, ein Tagebuch oder Lebensmaximen runden diesen Eindruck ab.

Durch die Ausstellung geraten Defizite, von denen vor allem junge Frauen im Land Brandenburg betroffen sind, ins Blickfeld: mangelnde berufliche Vielfalt und Perspektiven sowie Hürden bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Gemeint auch als Appell zu überprüfen: Was kann man für junge Frauen, die sich dennoch entscheiden zu bleiben, an der Stelle tun? Versöhnliche Töne klingen neben mancher Kritik in der Ausstellung an, wo Frauen zum Ausdruck bringen, was sie in Brandenburg hält. Bei alldem bleibt der Betrachter nie außen vor. Plakative Inschriften auf Umzugskartons inmitten der Ausstellung geben die Fragen aus den Interviews noch einmal in die Runde zurück: Warum verlässt du Brandenburg? Was würdest du verändern? Warum lebst du hier? Kannst Du deine Lebenspläne in Brandenburg verwirklichen? Welche Rolle spielt deine Familie? Kannst du dir vorstellen auszuwandern? Möchtest du irgendwann zurück? Was ist in deinem Leben wichtig?

„Gehen oder stehen?“ ist noch bis zum 22. August, mittwochs und donnerstags von15-19 Uhr, freitags von 15-21 Uhr, samstags von 13-21 Uhr und sonntags von 13-19 Uhr, im Offenen Kunstverein, Hermann-Elflein-Straße 10, geöffnet. Der Eintritt ist frei

Almuth Andreae

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