Kultur: Auf der Kirsche ein Schatten
Die polnische Lyrikerin Iwona Mickiewicz spielt mit Wörtern / Am Montag liest sie im Huchel-Haus
Stand:
„Manchmal denke ich, in mir dreht sich das ganze Jahrhundert herum...“, schreibt die polnische Lyrikerin Iwona Mickiewicz. Was sie in ihren Gedichten zu Bildern werden lässt, gründet auf Unsagbarem – auf Erinnerungen ihrer Familie. „Literatur und Essen ist das, was mich prägte“, sagt die anfangs etwas verhalten wirkende Dichterin über ihre Kindheit. Gern rezitierte ihre Großmutter Gedichte von Adam Mickiewicz, dem polnischen Goethe: einem Heimatlosen, der wie sie in der Fremde überleben musste. „Eine zufällige Namensverwandtschaft, die verpflichtet“, so Iwona. Noch wichtiger aber war in der Familie das Essen: „Ich erinnere mich nicht, welche Möbel wir zu Hause hatten, dafür aber, was auf dem Tisch stand.“ Durch diese ständige Völlerei spürte sie, dass etwas nicht stimmte. Später fragte sie die Mutter. „Und sie erzählte mir alles: sehr offen, sehr gesund.“ Darüber, dass ein Teil ihrer Familie von der SS erschossen und ein anderer Teil nach Sibirien deportiert wurde. Zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt – ohne gerichtliche Verhandlung. Nicht alle entkamen dieser Hölle: Einige verhungerten. Die, die überlebten, wurden wiederum zwangsumgesiedelt: nach Leszno, einem Ort, von dem kurz zuvor die Deutschen vertrieben wurden. „Die territoriale Grenze hatte sich nach dem Krieg verschoben, die geistige ließ sich nicht so einfach verrücken. Und leere Räume verursachen Angst. Klar, meine Großeltern haben sich irgendwann eingelebt, aber das Haus richtig in Besitz genommen hat erst meine Mutter vor 15 Jahren, nachdem sie es völlig renoviert hatte.“
Für Iwona war das zwischen Wroclaw und Poznan gelegene Leszno durchaus ein schönes Fleckchen Erde: mit Feldern und Wäldern hinterm Haus, mit Erdbeeren und Kirschen. „Fast idyllisch, aber auch in einem Kirschgarten stecken verfaulte Früchte“. In einem Gedicht schrieb sie: „Auf der Kirsche ein Schatten...“. Aus ihren Gedichten wird die Lyrikerin am Montag im Peter-Huchel-Haus Wilhelmshorst lesen.
Mit 18 verließ sie ihre Stadt und ging nach Leningrad, um Sonderpädagogik zu studieren. „Ich habe mich auf die Zeichensprache der Taubstummen spezialisiert: Das war sicher eine unbewusste Entscheidung. Später fiel mir auf, dass ich vielleicht etwas sagen wollte, was unsagbar ist.“ Als sie anschließend Politische Philologie in Warschau studierte, arbeitete sie nebenher mit geistig behinderten Menschen. „Auch das war eine schöne Erfahrung.“
1988 verließ Iwona Mickiewicz Polen. Sie ging nach Berlin. Es fällt ihr schwer, die Motive genau zu beschreiben. „Ich wusste, dass ich in diesem Land nicht bleiben will. Ich wurde nicht politisch verfolgt, betrachte mich auch nicht als Exilantin. Ich suchte eine andere Sprache.“ Sie erinnert sich, wie sie damals auf einer Hauptstraße stehen blieb und ihr alles so fremd war. „Deswegen werde ich hier bleiben“, sagte sie sich: „Angst ist ab und zu eine gute Herausforderung.“ Und Angst gehörte auch zu ihrem Elternhaus: Angst vor Denunziation. Stalins ethnische Säuberung, die auch die polnische Bevölkerung zum Ziel hatte, stachelte Verrat an. Er führte auch zur Verschleppung von Iwonas Familie: 1940 aus der Nähe von Vilnius nach Sibirien.
Kurz vor der Wende fand Iwona Mickiewicz Arbeit in der Berliner Karl Bonhoeffer-Nervenklinik, die ihr wie eine große Fabrik erschien. „Die meisten Leute lebten dort schon 30, 40 Jahre und waren vor dem Zweiten Weltkrieg geboren worden. Mit einer Frau im Rollstuhl sang ich immer Lieder der Comedian Harmonists. Daran konnte sie sich erinnern, an ihre Familiengeschichte nicht.“
Über Gedichte drang Iwona immer tiefer in die deutsche Sprache ein. Schließlich studierte sie an der Hochschule der Künste Szenisches Schreiben. Sie war die einzige im Fachbereich, die keine Deutsche war. Anfangs schrieb sie ihre Gedichte in Polnisch und übersetzte sie dann. „Schließlich begann ich meine Texte gleich auf Deutsch zu verfassen.“ 1992 erschien ihr erster Gedichtband „Puppenmuseum“. In diesem „Museum“ fanden ihre Erinnerungsstücke Platz. „Das Aufbewahren hat immer eine große Rolle in der Familie gespielt, und das habe ich instinktiv fortgeführt. Alles muss auf der richtigen Stelle sein: für alle Fälle.“ Die Autorin geht spielerisch mit der Sprache um. Worte benutzt sie wie Puzzlesteine, um sie zu einem neuen Sinn zusammen zu fügen. „,Spielen ist alles“ sagte Else Lasker-Schüler, deren Gedichte ich übersetzte habe und die mir sehr nahe ist. ,Wenn ich spiele, kann mich niemand töten oder verletzen“.“ Worte, die auch Iwonas eigenes „Spiel“ beschreiben. Auch sie verzichtet auf Sentimentalität. „Ihre Gedichte setzen auf Magie, mitunter auf die Magie einzelner Wörter und Wendungen“, schrieb der Kritiker Joachim Sartorius. Das trifft wohl auch auf ihre Filme zu, die sie irgendwann mit der Videokamera zu drehen beginnt, als sie merkt, dass ihre Gedanken schneller als die Hand sind, diese niederzuschreiben. In einem ihrer Filme sitzt sie selbst in einer Sandkoje am Meer und faltet Papierboote, mehr und mehr. Am Ende gehen sie alle in Flammen auf: „Eine leichte Art, die Geschichte meiner Familie zu erzählen.“
Auch ihre „Minioperette in fünf Akten“ – die im Huchel-Haus vor der Lesung und dem anschließendem Gespräch gezeigt wird – ist eine Art Parodie. „Es ist ein Spiel mit einem Minibuch, das man wie ein Akkordeon auseinander ziehen kann. Sollte man die Geschichte aufmachen oder nicht? Mit dieser Frage wird man konfrontiert.“ Bei einer Veranstaltung mit dem Brandenburgischen Literaturbüro hat sie den Film bereits vor 80 Schülern in Lychen gezeigt und war überrascht, wie sich die Kinder von dieser Geschichte aufsaugen ließen. Als nächstes möchte die 43-Jährige ein Projekt gemeinsam mit Schülern über die jüdische Dichterin Gertrud Kolmar entwickeln, die in ihrem Werk immer wieder das Fremdsein beschwor. Eine Art Happening soll dabei entstehen. Spielen ist eben alles.
Lesung am 13. März, 20 Uhr, im Peter-Huchel-Haus, in Wilhelmshorst, es moderiert Katarzyna Kaminska vom Brandenburgischen Literaturbüro.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: