Kultur: Auf der Suche nach Seele
Das Thalia-Kino widmet den russischen Mosfilm-Studios zum 90. Geburtstag eine eigene Reihe
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Ein Kriegsfilm aus Russland, und das in diesen aufgeheizten Zeiten? In Zeiten, in denen der Ukraine-Konflikt die Post-Wende-Welt wieder in zwei Lager zu teilen scheint: pro-russisch und pro-westlich. Ja, „Der weißer Tiger“ ist so ein Film – und doch ganz anders. Karen Shakhnazarov, russischer Regisseur und seit 1998 Generaldirektor der Mosfilm-Studios, hat sich damit noch einmal des Zweiten Weltkriegs angenommen und sich als Setting die Ostfront im Jahr 1943 ausgesucht. Dort macht ein geheimnisvoller deutscher Super-Panzer, der weiße Tiger eben, der Roten Armee den Vormarsch auf Berlin schwer.
Der weiße Tiger scheint unzerstörbar, taucht aus dem Nichts auf – und verschwindet nach dem Gefecht spurlos. Bis der Panzerfahrer Ivan Naydenov sich auf die Suche nach der Wunderwaffe macht. Auf dieser Ausgangslage ließen sich natürlich zum hundertsten Mal die Klischees aufwärmen, aus russischer Sicht wohl die der unmenschlichen Deutschen. Shakhnazarov aber hat sich gerade gegen jeden Hurra-Patriotismus entschieden.
Und so passt „Der weißer Tiger“, der am heutigen Donnerstag im Thalia-Kino in Babelsberg gezeigt wird, ganz wunderbar als Auftakt der Filmreihe „90 Jahre Mosfilm“. Bis zum Samstag zeigt das Thalia fünf Filme aus den 1924 gegründeten Mosfilm-Studios, die über die Sowjet-Zeiten und den Umbruch hinweg die Geschichte des Landes auf Leinwand schrieben und heute einer der größten Filmkonzerne Europas sind.
Allerdings: Auf eigene Kinoproduktionen muss Mosfilm inzwischen weitestgehend verzichten, weil die staatliche Subventionierung zurückgegangen ist. Das Geld fließt jetzt vor allem über die Vermietung der Infrastruktur an Fernsehproduktionen.
In Russland, sagt Evgeniya Nurmukhamedova, die zusammen mit Olga Delane für die Filmauswahl zuständig ist, lieben die Leute auch heute noch die sowjetischen Klassiker. „Das ist ein ganz tolles Phänomen: Einerseits durfte man damals nicht zu viel Kritik äußern, andererseits mussten die Regisseure nicht darüber nachdenken, ob ihre Filme kommerziellen Erfolg haben würden oder nicht.“ In dem Punkt hätten Regisseure damals viel mehr Freiheit gehabt und eben deshalb sehr gute Filme drehen können.
Auch wenn des den typischen sowjetischen Film natürlich nicht gibt. „Wir sprechen dabei ja von rund 200 verschiedenen Völkern oder Ethnien, diese Vielfalt bildet sich natürlich auch in den Filmen ab“, sagt Evgeniya Nurmukhamedova. Typisch sei vielleicht nur das: Viele der Klassiker basieren auf großen Romanen – und würden deshalb auch heute noch im russischen Literaturunterricht gezeigt. Und wie in der russischen Literatur blicken auch die Filme oft tief in die menschliche Seele – die natürlich dabei auch immer die russische Seele ist. Zugleich entstanden unter dem Mosfilm-Dach auch jede Menge Propagandafilme. Berühmtestes Beispiel dafür ist vermutlich Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“.
Trotzdem, sagt Evgeniya Nurmukhamedova, kämen aus der Sowjetunion viele zeitlose Filme – Klassiker, die gerade jetzt eine Brücke schlagen können zwischen alter und neuer Filmkunst und zwischen Ost und West. Wie das funktioniert? „Informationen, Emotionen, historische Fakten, all das, was Filme vermitteln, ist sehr wertvoll zum besseren Verständnis des anderen, seiner Kultur und Denkweise. Man sieht verschiedene Dinge dadurch aus einem anderen Blickwinkel.“ Kurz: Wenn man einen guten russischen Film sieht, denkt man danach beim Wort Russland vielleicht nicht nur an die täglichen Nachrichten. Film als Mittel zur Völkerverständigung also.
Die Ukraine-Krise war dennoch nicht der Auslöser für das Thalia-Team, dem 90. Geburtstag von Mosfilm eine eigene Filmreihe zu widmen. Vielmehr beschäftigt sich das Kino schon länger mit osteuropäischen Produktionen, sei es mit dem Festival „FilmPolska“, das im Frühjahr auch in Potsdam stattfindet, oder der Reihe „Russischer Salon“, bei dem seit vergangenem November jeden Sonntag ein russischer Film gezeigt wird. Aktuelles ebenso wie traditionelles russisches Kino. Wodka und Tee aus dem Samowar natürlich inklusive. Das Thema Russland trifft momentan wohl auch einfach einen Nerv, als kürzlich Gerd Ruge ins Thalia kam, um sein neues Buch „Unterwegs“ vorzustellen, driftete die Diskussion im Anschluss schnell ab, hin zur Ukraine und zur Kritik an Putins Politik.
Vielleicht ist diese Dauer-Brisanz mit ein Grund, warum der „Russische Salon“, der ursprünglich nur für drei Monate, also bis Ende Januar, geplant war, noch einmal verlängert wurde. Das Interesse der Besucher sei gleichbleibend groß, zwischen 30 und 60 Besucher kommen jeden Sonntag, sagt Daniela Zuklic vom Thalia-Team. Offenbar schätzen nicht nur die Russen selbst, sondern auch die Potsdamer die alten Klassiker wie etwa „Die Nacht vor Weihnachten“ von Aleksandr Rou aus dem Jahr 1961 ganz besonders. Und das, obwohl die meisten Filme im russischen Original mit Untertiteln laufen.
Eine Ausnahme wird da „Nemez“ sein, der an diesem Sonntag in der Reihe „Russischer Salon“ läuft – diesmal auf Deutsch und in Anwesenheit des Regisseurs Stanislav Güntner. Programmatisch für das Konzept beider Reihen, dem „Russischen Salon“ und dem Mosfilm-Jubiläum, ist auch dessen Handlung: Im Zentrum steht ein junger Russlanddeutscher, hin- und hergerissen zwischen einer neuen Liebe und seiner kriminellen Vergangenheit, kämpft er in Berlin um einen Neuanfang. „Nemez“, das ist das russische Wort für „Deutscher“, zwei Seelen also, in einem Wort vereint.
Die Filmreihe zum 90. Mosfilm-Jubiläum startet am heutigen Donnerstag um 19 Uhr im Thalia, Rudolf-Breitscheid-Straße 50, mit „Der weiße Tiger“. Am Freitag geht es mit zwei Klassikern weiter. Das gesamte Programm finden Sie unter: www.thalia-potsdam.de/russischersalon.
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