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Kultur: Auf Entzug

Jakob Hein liest heute aus „Wurst und Wahn“

Stand:

Fassungslos hält er sein bestes Stück in der Hand. Einfach abgefallen. Der junge Mann hat sich selbst kastriert. Dabei hätte er es wissen müssen, meint der Arzt. Bei vegetarischer Mangelernährung reiche die Durchblutung eben nicht für den Penis. Wer Abfahrtsski fährt, müsse mit zerrissenen Bändern im Knie rechnen. Und wer kein Fleisch ist, eben damit.

In Jakob Heins bitter-böser Farce „Wurst und Wahn“, die der Autor am heutigen Freitag im Café 11-line beim Berlin-Brandenburgischen Lesemarathon des Börsenvereins vorstellt, geht es um Trend-Neurotiker, Pseudo-Vegetarier und eine Welt voller Vorurteile. In seiner bekannt spritzigen Schreibweise zielt der 40-jährige Autor und bekennender Mode-Vegetarier mitten hinein in deutsche Küchen und Gemüter.

Das lange Geständnis des nach Fleisch gierenden Neu-Vegetariers vor dem Kommissar beginnt mit seinem Weihnachtserlebnis. Arglos bestellte der junge Mann eine Gänsekeule und erntete fassungslose Blicke und entsetzte Kommentare der Kollegen. Denn alle waren inzwischen Vegetarier der reinen Lehre. Was blieb ihm als letzten seiner Spezies anderes übrig, als nachzuziehen. Obwohl ihm eigentlich nur das schmeckt, was auch satt macht. Er versteht nicht, dass seine Frau plötzlich Ingwersuppe kocht, an der nichts dran ist und sie versteht nicht, dass er Currywurst isst, obwohl ihm danach immer leicht übel wird. Doch nun ist die Zeit der Currywurst vorbei. Graugesichtig, unterernährt und seiner Manneskraft beraubt, rennt ihm auch noch die Frau weg. So gebeutelt ist er bestes Freiwild für die Gegenseite, die ihn als Trojanisches Pferd einschleusen will, um möglichst viele zum Rückfall in die alte Welt der Fleischesser zu bewegen. Tofu-Kartelle habt Acht!

Das im Galiani Berlin Verlag erschiene kleine 100-seitige Büchlein über einen Fleischesser am Rande des Nervenzusammenbruchs ist die beste Lektüre für alljene, die ins neue Jahr mit guten fleischlosen Vorsätzen starten. Die Raucher sind ja bereits abgeschafft.Heidi Jäger

Am heutigen Freitag, 19.30 Uhr, Café 11-line, Charlottenstraße 119

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