
© Andreas Klaer
Ausstellung im Potsdamer "Sans Titre": Auf falschen Fährten
Der Potsdamer Fotograf Steffen Mühle zeigt im „Sans Titre“ verwirrende Bilder
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Er hat es nicht mitgenommen, das Reh. Eine Keule – gern, aber gleich ein ganzes Tier? Steffen Mühle schlug das großzügige Angebot der Männer aus, stattdessen fotografierte er die Ausbeute der Jäger. Drei Tiere, kopfüber aufgehängt auf dem forstwirtschaftlichen Betriebshof, auf dem Beton noch das helle Blut, so rosa wie aus einem Tuschkasten. Der Maler und Fotograf aus Potsdam, der sich auf einer Fahrt durch die Uckermark verirrt hatte und nur zufällig bei den Jägern gelandet war, zeigt ab heutigem Freitag dieses und weitere Bilder der letzten zwei Jahre, insgesamt 40 Fotografien mittleren Formats, im Kunsthaus „Sans Titre“. „Falsche Fährten“ nennt er die Auswahl, eine skurrile Zusammenstellung.
Das Rehbild, zunächst über den Umweg von Mühles ganz persönlicher falscher Fährte entstanden, lässt den Betrachter aufgrund der ungewohnten Perspektive innehalten. Weder niedlich äsende Tiere, noch erlegte Trophäen traditionell präsentiert. Stattdessen Sachlichkeit, kopfüber. „So was zeigst du? Dann komm ich nicht“, hat man Mühle schon gesagt. Dabei ist es genau das, was Mühle will: Den Betrachter aus der Reserve locken. Mit Bildern, die auf den ersten Blick so klar und einfach aussehen aber immer zweideutig sind. Die die Augen unweigerlich auf eine falsche Fährte locken und dann, auf dem zweiten Blick, wenn man schon fast weitergehen will, eine Überraschung anbieten. Denn der vermeintliche Swimmingpool, nachtblau illuminiert und im Dunkeln fotografiert, ist tatsächlich der tiefergelegte Parkplatz der Potsdamer Hauptpost, erkennbar an den Markierungen der Parkbuchten. Eine Aufnahme, für die Mühle nur bis in die erste Etage des „Sans Titre“ musste. Ebenso lohnt ein zweiter Blick auf die Menschen, die vor dem Intercity sitzen: wartende Reisende? Hier hat Mühle einen Ausflugsdampfer, der vor einem Bahndamm dahinfährt, erwischt. Oberdeck, Passagiere und Zug verschmelzen in einer Ebene, die räumliche Perspektive löst sich auf.
Diese Momentaufnahmen, eine Bilderschau, die anfangs wie ein zufälliges Piktogramm-Daumenkino wirkt, entpuppt sich in ihrer Gesamtheit als ein sehr durchdachtes Werk, an dessen Zusammenstellung Mühle seinen Spaß hatte. Ein Kaleidoskop vieler „falscher Fährten“. Die man finden muss, auf die man sich einlassen und weiterspinnen kann, ein witziger, aber manchmal auch ernüchternder oder trauriger Prozess.
Was Mühle an der Arbeit für diese Aufnahmen faszinierte, war, dass selbst er als Fotograf den falschen Fährten verfiel. „Du siehst die beiden Wanderer in diesen schönen deutschen Wald hineingehen – aber dort, in diesem dichten Tann, wird es nicht düster, sondern wider Erwarten hell“, sagt Mühle. Es sind optische Täuschungen und es ist das Spiel mit den unbewussten Erwartungen, die beim Betrachten hervorgerufen werden. So ist der vermeintliche Auffahrunfall gar keiner, sondern eine Installation im Museum in Wolfsburg. Hinschauen muss man trotzdem – wie der Mensch, der bereits in dem Bild interessiert guckt.
„Das interessiert mich gerade sehr, was man aus einem Bild so rausholen kann“, sagt Steffen Mühle. Der 53-Jährige, der an der Leipzier Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte, zuletzt als Meisterschüler, arbeitet häufig im Grenzbereich zwischen Malerei und Fotografie. Diesmal entschied er sich für unbearbeitete Fotos. „Das sind weder inszenierte Bilder noch Schnappschüsse, irgendwas dazwischen“, sagt er. „Ich warte beim Fotografieren auf den passenden Moment.“ Diese Momentaufnahmen, befreit von ihrem Kontext, isoliert hinter 40 mal 50 Zentimeter Glas, brauchen die Gemeinschaft – und mutige Betrachter, die sich auf ein Tête-à-Tête einlassen wollen.
Steffen Mühle gibt durch Sortierung und Titel vorsichtig Hilfestellung. Die Geschichten zu den Bildern kommen dann von allein. Ob bei der Frau, die, allein auf einer abgewetzten Ledercauch, den Blick in die leere Zimmerecke richtet, oder bei den Hochzeitsgästen, jeder für sich irgendwie abwesend, einen kleinen aufgeregten Jungen brutal ignorierend. Die Szenarien sind ein Angebot an den Betrachter.
Letztlich liegt der Reiz dieser Ausstellung auch darin, dass man den Bildern dort, unter den hohen Dachfenstern des Sans Titre, nicht ausweichen kann. Empfehlenswert ist ohnehin ein Wiederholungsbesuch. Das helle Tageslicht lässt die kräftigen Farben leuchten, bringt allerdings auch so manche Spiegelung hervor. Diese lassen sich in der Dämmerung umgehen – oder durch alternative Blickwinkel. „Von unten geschaut, aus der Höhe eines Kindes, ist die Reflexion weg“, sagt Mühle, selbst überrascht von dem Effekt. Das In-die-Knie-Gehen funktioniert ausgerechnet vor dem Bild, auf dem er seine kleine Nichte in ihrem Bett fotografiert hat, eine interessante alternative Fährte.
Das Spiel mit dem Besucher treibt Mühle am Ende so weit, dass er ein Foto um 90 Grad gekippt anbietet – eine gemeine falsche Fährte, die erst bei sehr genauem Hinsehen auffällt.
Vernissage am heutigen Freitag um 19 Uhr im Kunsthaus „Sans Titre“. Die Ausstellung ist bis zum 6. Oktober zu sehen, Donnerstag bis Sonntag, 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung
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