zum Hauptinhalt

PNN-Serie über Potsdamer Ufer: Haveluferweg: Auf Glückssuche im Entenviertel

In der Sommerreihe Potsdamer Ufer stellen wir besondere Orte am Wasser vor. Der Haveluferweg führt an Potsdams Stadtmauer entlang – wo die Stadt am ältesten ist.

Stand:

Das Fleckchen Erde ist leicht erhöht, zur Südseite hin schaut man übers Wasser, die Mündung der Nuthe im Blick. Hier ließen sich gut ein paar Hütten bauen, Holz gab es ja genug, drum herum noch eine Einfriedung, damit niemand ungebeten rein kam und die kleinen Kinder nicht mal eben so ans Wasser liefen und rein plumpsten. Im Wasser gab es Fische, an Land das eine oder andere zu ernten, und was man nicht hatte, holte man mit dem Kahn heran. Die Slawen fanden den Hügel an der Alten Fahrt ganz praktisch und machten sich hier langsam breit. So könnte es gewesen sein, im 6. und 7. Jahrhundert. Heute ist das Wasser das einzige Kontinuum. Und mit dem Wasser die Fische. Am Ufer stehen an diesem leicht vernieselten Vormittag ein paar Kinder und Erwachsene und angeln. Kleine Barsche, höchstens so groß wie eine Männerhand lang ist, liegen im Eimer. Und haben Glück, denn sie dürfen wieder zurück ins Wasser.

Glück ist das Wort, was viele nennen, die in Potsdams ältestem Siedlungskern wohnen und arbeiten, in den Straßen zwischen Burgstraße und Holzmarktstraße, in der Großen und Kleinen Fischerstraße. Direkt hinter der restaurierten Stadtmauer wohnt der Maler Axel Gundrum. „Ich hab so ein Glück gehabt, hier eine Wohnung zu finden“, sagt er. 2004 kam er aus Osnabrück und will hier nicht mehr weg. Das Haus ist ein DDR-Lückenbau aus den 1950er Jahren, das im Krieg zerbombte Viertel wurde schnell wieder aufgefüllt. Mit Wohnungen, die im Vergleich zu dem, was der Sozialismus später baute, überraschend bürgerlich anmuten, über eine anständige Deckenhöhe verfügen und auch mal eine Flügeltür. Gundrum, der Postmodernist, malt gern allzu Menschliches, gern auch humorig-frivol. Auch das Thema Wasser findet sich in seinen Bildern, gerade stellt er in der Berliner Galerie vom Künstlersonderbund in Deutschland „Wasser“-Bilder aus.

Doch welch Ironie: Zwar liegt das Havelufer kaum 30 Meter vor seinem Atelierfenster. Sehen aber kann er das Wasser nicht. „Da müsste ich im ersten Stock wohnen“, sagt Gundrum. Er hat sich mit der alten Stadtmauer vor seinem Haus abgefunden. Und wenn er Wasser will, geht er die paar Meter rüber zur Alten Fahrt. Wo der Uferweg wieder direkt ans Wasser rückt. Wo auf der Wiese manchmal Pärchen sitzen oder die gelangweilten Frauen der Angler in der Sonne liegen. „Früher habe ich hier auch gebadet“, sagt der Maler und schaut hinunter in das jetzt im August schon etwas algige Wasser. Rein ginge es hier nur über die Leiter des befestigten Ufers. Die Havel ist hier schon recht tief. Man muss schwimmen können.

Der deutsche Ordnungswahn hat hier Gott sei Dank noch nicht dazu geführt, dass irgendeine Sicherheitsmaßnahme installiert wurde. Freies Ufer in jeder Hinsicht. So dass, es kam vor, schon mal ein Angler ins Wasser plumpste. Und der Koch vom Café der Freundschaftsinsel über die kleine Brücke hechtete, um ihn raus zu ziehen.

Am Vormittag stehen hier nur die Männer der Step rum, brennen und kärchern das Unkraut vom Kopfsteinpflaster. Das es den Bewohnern der Seniorenresidenz Heilig Geist Park nicht immer einfach macht. Autofahrern auch nicht, aber die kommen hier ohnehin nur lang, wenn sie ein Anliegen haben. Und die Radfahrer haben sich längst eine buckelfreie Ersatzstrecke entlang der Mauer gesucht. Spaziergänger gibt es wenige. Hier gibt es auch nichts, das man anpeilen könnte, keinen Bäcker, kein Café, keine Boutique, keinen Souvenir-Schnulli-Laden. Und doch ist es magisch schön, vielleicht gerade weil es so unentdeckt ist.

Die Stadt, in der der Glückindex sehr gern in Uferwegskilometern gemessen wird, arbeitet allerdings an dessen Vermarktung. Der Uferweg ist ausgeschildert. Von der Tramhaltestelle auf der Humboldtbrücke geht es hinunter zur Havel – aber nur kurz. Dann ist das Gelände der Feuerwehr im Weg, auf der Terrasse der neuen Wache sieht man ein paar Männer beim Frühstück mit Aussicht. Der Uferwegsspaziergänger hat jetzt eine Zeitlang rechts und links von sich einen Metallzaun und fühlt sich wie der Tiger im Zirkus. Der neu angelegte Weg wurde mit Hilfe des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung finanziert, ein Schild informiert den Fußgänger: „Eine Investition in Ihre Zukunft!“

Ankunft in der Türkstraße. Benannt nach Herrn Türk, der kein Einwanderer war sondern ein Potsdamer Bürger, Jurist, Pädagoge und Philanthrop, also ein Menschenfreund. Und – als solcher? – dort am Ufer eine Schwimmanstalt gründete. Heute badet hier keiner mehr, das Schifffahrtsamt Brandenburg liegt im Weg.

Der Weg des Spaziergängers führt vorbei an wilden Parkflächen, die von Verwaltungs- und Krankenhausmitarbeitern genutzt werden oder Eon Edis, der gegenüber in einem schmucken Altbauklotz sitzt. Dann steht man plötzlich vor der mit einer Grasnarbe überwachsenen Kellertorbrücke über den Stadtkanal. Der hier linkerhand mit Wasser gefüllt ist. Die Kellertorwache, das alte Zollhaus, wird gerade von einem Privatmann restauriert. Hier blitzt das Wasser hinterm Bauzaun. Daneben beginnt die historische, denkmalgeschützte Stadtmauer. Die Straße davor hieß früher Communicationsweg. Hier flitzte jeder entlang, der etwas zu besorgen oder transportieren hatte. Es muss hier viel los gewesen sein im 18. Jahrhundert. Das Wasser war die Schnellstraße jener Zeit. Die Mauer war kein mittelalterlicher Schutzwall, sondern dazu da, den Warenfluss zu kontrollieren. Und dazu, die langen Kerls, die vom Dienst die Nase voll hatten, am Abhauen zu hindern. Tiefe Fundamente lassen vermuten, dass die Mauer damals viel höher war.

Auf Wasserseite bestand sie aus einem Palisadenzaun, die Alte Fahrt konnte mit einer Art Schlagbaum abgesperrt werden, sagt Potsdams Historiker Klaus Arlt. Die Siedlung der Burgfischer, spöttisch Entenviertel genannt, bestand überwiegend aus kleinen Bürger- und Handwerkerhäuschen. Natürlich wohnten hier auch Fischer. Spätestens als das kurfürstliche Stadtschloss geplant wurde, siedelte man die verbliebenen Handwerkerbutzen aus der immer feiner und städtisch werdenden Mitte an die Peripherie um.

Ein Überbleibsel dieser Betriebsamkeit ist die Schlosserei am Ufer der Großen Fischerstraße. Und natürlich der letzte Fischer. „Sagen Sie nicht der letzte, das klingt so schrecklich. Ich bin der einzige, der noch da ist“, sagt Mario Weber. Gegen Mittag ist Zeit für ein kleines Gespräch.

Obwohl Weber überhaupt nicht der Mann vieler Worte ist. Kann auch sein, er hat keine Lust mehr, immer wieder dieselbe Geschichte zu erzählen. Wie er in Werder den Beruf lernte, zur Fischereigenossenschaft nach Potsdam kam und nach der Wende seine Kollegen alle aufhörten. Er blieb. Und konnte das Land und die Fischereirechte kaufen. „Seit dem Tag, an dem ich Fischer geworden bin, habe ich eine Glückssträhne“, sagt er. Fische gibt es genug in der Havel. Aale, Zander, Karpfen, Barsch. Er verkauft das meiste vom Hof. Wer will kann hier auch einfach nur am Steg sitzen und dem Schmatzen der Wellen zuhören. Könnte er hier nicht ein Restaurant eröffnen? Nein, niemals. „Ich bin Fischer, kein Gastronom.“

Sein Nachbar ist die Weisse Flotte, deren Betriebsgelände sich hier befindet. Passagierschiffe wie die lange MS Sanssouci werden hier über Nacht geparkt. „Wenn der Gustav früh angeheizt wird, dann stinkt es vorübergehend nach Kohle. Aber sonst ist es schön hier“, sagt Arne Fiedler. „Gustav“ ist ein alter Kohledampfer, das Eventboot der Weißen Flotte. Arne Fiedler wohnt schräg rüber in der Großen Fischerstraße. Seit fast zehn Jahren. In dem Haus, an dem immer die Nachtwächter-Stadtführung stehen bleibt, weil es so schön historisch anmutet. Mit dem Hauseigentümer ist Fiedler übereingekommen: Saniert wird maßvoll.

Das Haus erkennt man am alten Putz, im Herbst am roten Weinlaub an der Hauswand. Jetzt wächst und rankt hier allerlei Grünzeug am Türstock. Auch die andere Straßenseite hat Fiedler in Beschlag genommen, hat Tische, Stühle und Blumentöpfe unter die mächtigen Linden gestellt. Als Gartenersatz.

Und weil man ja sonst blöd wird, sagt er, wenn man immer an die nackte Mauer starren muss. Im Guerillagarten sind alle willkommen. Das Ordnungsamt hat sich noch nicht beschwert – kleines Glück am Rande.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })