Ausgebreitet ist eine Trümmerlandschaft. Gerettete „Splitter“ der Garnisonkirche liegen wie ein Teppich zu Füßen der Mauerfall-Fotos. Bernd Blumrichs „Bilder des Aufbegehrens“ zeigen Menschen mit Rückgrat, die angesichts der kläglichen Reste ihres bröckelnden Landes nicht klein bei geben, sondern selbstbewusst revoltieren. „Weltanschauung kommt von Welt anschauen“, ist auf einem Plakat zu lesen, das 1989 in der Erlöserkirche vom Neuen Forum aufgespannt wurde. Eine Losung, die für die 14-jährigen Schüler, die zur gestrigen Eröffnung der Ausstellung in die Breite Straße 7 gekommen waren, wie eine Binsenweisheit klingen mag. Was sagen ihnen diese Fotos mit Demonstranten auf dem Platz der Nationen oder Polizisten mit Schlagstöcken vor dem Café Heider? Sie erkennen Orte, hören aber nicht die aufgeregten Herzschläge von damals.
Durch die Lesung von Grit Poppe aus ihrem Buch „Weggesperrt“ bekommen die Schwarz-Weiß-Bilder auch für die Nachgeborenen plötzlich Farbe, beginnen sie zu „reden“. Die Potsdamer Autorin liest über Anja, die im selben Alter war wie die Schüler der Voltaire-Schule, als sie weggesperrt wurde, hinter die Mauern des Jugendwerkhofs Torgau. Ihr einziges Vergehen: Sie war die Tochter einer „Staatsfeindin“. Der Ausreiseantrag der Mutter wurde für Anja zum Einweisungsschein in eine Welt, in der Fußtritte zu den gängigen „Erziehungspraktiken“ gehörten. Und wo sogar vor sexuellem Missbrauch nicht zurückgeschreckt wurde. Angeregt, sich mit diesem düsteren Kapitel der DDR-Geschichte zu beschäftigen, das bei vielen der 4000 Insassen zu schweren Traumata führte, wurde Grit Poppe durch ihre eigenen zwei Kinder. Auch sie hatten in der Schule kaum etwas über die DDR erfahren. So wie eine Abiturientin, die das in einem Brief an den Bildungsminister Holger Rupprecht beklagte.
Der versicherte bei der gestrigen Vernissage, diese Fehlstelle in den Lehrplänen künftig füllen zu wollen. Zudem reist er als Zeitzeuge durch Schulen, auch wenn er sich selbst nicht so frühzeitig mutig hervorgewagt hatte wie andere. Deshalb sucht er sich Partner, die zum Teil für ihre Gesinnung ins Gefängnis mussten, um mit den Schülern zu sprechen. „Bilder aus der Zeit sind wichtig, aber sie reichen nicht aus: Es braucht auch das geschriebene und gesprochene Wort.“
Rupprecht plädierte dafür, keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, aber zur Versöhnung bereit zu sein. „So wie der Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche ein Fingerzeig zum Himmel ist: eine Mahnung, friedlich miteinander umzugehen“, wie es Johann Peter Bauer von der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche formulierte. Das Gespräch „Mauer weg – Versöhnung möglich“ am 12. November will diesen Weg suchen: mit Heinz Vietze von den Linken und den Pfarrern Hansi Baaske und Steffen Reiche auf dem Podium. Heidi Jäger
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