Kultur: Aufbrechung
Ralf-G. Krolkiewicz las bei Wist zwei neue Stücke
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Ralf-G. Krolkiewicz las bei Wist zwei neue Stücke Hatte man noch keine Vorstellung, wie sich ein kreativer Ausbruch bei einem Schriftsteller bemerkbar macht und was so ein exzessiver Schöpfungsschub hervorbringen kann, bei Ralf-Günther Krolkiewicz wird es sichtbar. Im Literaturladen las am Dienstagabend der ehemalige Intendant des Hans Otto Theaters nicht aus seinen Stücken, er spielte sie, die Hände immer fahrig, deklamierend, ganz mit seinem Text verschmolzen. Der Theatermann Krolkiewicz wurde erst spät zum bekennenden Schriftsteller und sieht man ihn lesen, mit Gesten seinen Zeilen noch die letzte Prägung aufsetzend, dann meint man, hier habe sich viel angestaut. Sein Debüt gab er vor einigen Jahren mit dem autobiografischen Prosatext „Hafthaus“. Er behandelte seine Inhaftierung im Stasi-Knast in der Lindenstraße, das war ein persönlicher Bruch, vielleicht auch literarisch eine (Auf-)Brechung. Von nun an und verstärkt nach seinem endgültigen Ausscheiden aus dem Potsdamer Theater folgten der Prosa in schneller, rastloser Folge Dramen, wie das Stück „Herbertshof“, das am HOT unter der Regie von Tobias Sosinka im November auf die Bühne kommt, und immer mehr auch Lyrik. Krolkiewicz scheint von sich selbst überrascht, wenn er erzählt, dass er nun sogar zu positiver Liebeslyrik fähig sei. Wenn er schreibt, dann am liebsten morgens, zwischen vier und zehn Uhr. Der Monolog „vergesst weimar! – niemand als ich“ für einen Dessauer Schauspieler ist an einem dieser Rauschmorgende geschrieben. Für den Autor, Regisseur und Schauspieler (zuletzt als Polonius in einer Hamlet-Inszenierung in Luxemburg zu sehen) ist es die erste Auseinandersetzung mit dem Thema Theater. Es ist keine Abrechnung, es ist viel mehr. Eine rasende Liebeserklärung, eine Beleidigung, eine Umarmung und eine Abstoßung. Und sicher richtet sich der Autor bei allem zunächst selbst. „Die Kunst zerstört das Leben, und das Leben zerstört die Kunst“, ist eines der Lieblingszitate von Krolkiewicz, der sich als jemand fühlt, der genau zwischen Kunst und Leben steht und zerrieben wird. Von Freiheit weiß er zu schreiben, weil sie ihm schon genommen wurde, vom Leben weiß er zu schreiben, weil er durch Krankheit seine Bedrohung spürt und von Theaterkunst weiß er zu schreiben, weil er ihre Bedingungen studieren konnte. Im Stück ist dem langjährigen Schauspieler Karl F. die Ehrenmitgliedschaft „auf Lebenszeit“ zugesprochen worden. Ein Formfehler lässt sie jedoch schon heute enden. Der Mann wird langsam verrückt, er rechnet wegen einer Zahlenverwechslung in einer Urkunde tatsächlich mit dem Tod. Aus Verzweiflung und Wut setzt nun eine Suada an. Berlin ist ein „Proletenkaff – im Schädel Topfwurst“, Dramaturginnen sind „zumeist unverheiratete Personen mit übergroßem Geltungsdrang“ und Kommunalpolitiker sind jene, die ein Gespräch mit den Worten beginnen, sie verständen ja nichts vom Theater ... aber dennoch weiter reden. In seiner Kompromisslosigkeit und wütenden Unbarmherzigkeit als Shakespearehasser und Verächter von Theatergewerkschaftlern erinnerte der Ton an Thomas Bernhard. In seiner verborgenen Poesie und dramatischen Gestaltung ist Krolkiewicz über Bernhard hinaus gegangen. Wenn Karl F. über die Stille redet, die uns Menschen mehr ängstige als Lärm, zeigt der Kontext auf die schwer erträgliche Stille um den Schauspieler auf der Bühne, der Subtext auf die Stille des Todes: „wir fürchten die Stille, in der wir zu uns selbst finden zu unserem Schweigen, zu unserer Sprachlosigkeit ...“ Das zweite Stück, das Krolkiewicz zusammen mit der Berliner Schauspielerin Sybille Prätsch vortrug, klang nach der beißenden Ironie der ersten Stunde zunächst nach groteskem Volkstheater. In „Conchita und Ewald – die Bahnhofsnutte“ entwickelt Krolkiewicz eine Zweierbeziehung am Rande des gesellschaftlichen Milieus. Aus der sich sperrig fügenden Konstellation zwischen der mexikanischen Prostituierten und dem Briefträger entwickelt der Autor eine Liebe, die in naturalistisch, manchmal sogar derber, reduzierter Sprache eine ungeahnte Größe entfaltet. Ralf-G. Krolkiewicz fabuliert kraftvoll und fordert dabei die Möglichkeiten einer modernen Dramatik mit seiner eigenen Sprache heraus. Er sei in der glücklichen Lage, dass ihm die Verlage alles abnehmen. Das Theater kann sich darüber mit ihm freuen. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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