Kultur: Aufbruch auch in Brandenburg
Potsdamer Zeithistoriker haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Wende in Brandenburg zu erforschen. In einem Sammelband erzählen sie nun von Agonie und Aufbruch in der Mark. Von Richard Rabensaat
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Eigentlich war zunächst keine Revolution geplant, auch nicht in Potsdam, sagt die Historikerin Jutta Braun. Verglichen mit anderen östlichen Bundesländern habe Brandenburg in Bezug auf den Umbruch 1989/1990 ohnehin ein eher schlechtes Image. Das scheinen Statistiken zu bestätigen. Während Potsdam, Cottbus und Frankfurt/Oder im Zeitraum zwischen August 1989 und April 1990 insgesamt 386 Demonstrationen verzeichnen, waren es in Sachsen 985 und in Thüringen 786. Dennoch kommt der Historiker Peter Ulrich Weiß zu dem Schluss, dass Brandenburg, gemessen an seinen Möglichkeiten, nicht unbedingt das Schlusslicht der „friedlichen Revolution“ war. Denn es müssten die Besonderheiten des Bundeslandes berücksichtigt werden: die mit 2,7 Millionen extrem niedrige Einwohnerdichte und der urbane Schwerpunkt in Ostberlin, wo sich die Proteste fokussierten. Zudem gab es gerade in Potsdam eine massive militärische Präsenz, die zu einer deutlich spürbaren Angst- und Drohkulisse geführt habe. Im wirtschaftlich wichtigen Kohlebezirk Cottbus fand sich unter 119 Bürgern ein IM, in der gesamten DDR betrug der Schnitt dagegen 186 zu 1. Zahlreiche „operative Personenkontrollen“ und „operative Vorgänge“ hatten in den 1990er-Jahren straffe staatliche Präsenz demonstriert und die Bürger eingeschüchtert. Die Historiker Jutta Braun und Peter Ulrich Weiß vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) haben für die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung einen Sammelband zusammengestellt, in dem 15 Autoren die Zeit des Aufbruchs in Brandenburg beleuchten.
Als 1989 der innere Druck in der abgedeckelten DDR zu groß wurde und immer mehr Menschen sich versammelten, planten sie zunächst nicht die Abschaffung des Staates, in dem sie lebten. „Eigentlich ging es um bürgerschaftliches Engagement und politische Emanzipation“, stellt Braun fest. Allerdings hatten sich 1989 bereits zahlreiche Bürger zusammengeschlossen, die sich aktiv an der Gestaltung des Staates und der Städte beteiligen wollten. In Potsdam hatte sich die Kulturbundgruppe „Umwelt und Stadtgestaltung“ (Argus) gegründet. Die Arbeitsgemeinschaft Pfingstberg setzte sich dafür ein, den Verfall des historischen Areals aufzuhalten und griff selbst zu Hacke, Spaten und gegebenenfalls auch Mauerkelle, um die bröckelnde Kulturstätte vor dem völligen Verfall zu retten.
Auch die Wirtschaft im Osten lag danieder. Ein Sargnagel für den Arbeiter- und Bauernstaat sei die gescheiterte Agrarpreisreform von 1984 gewesen, sagt Braun. Die Reform habe es nicht geschafft, ein realistisches Verhältnis zwischen Produktion und Preis des angebauten Getreides und anderer landwirtschaftlicher Produkte zu schaffen: „Brot und Weizen wurde in großem Stil für den privaten Mastbetrieb verfüttert.“
26 Zirkel, die sich in Potsdam kritisch mit den damals herrschenden Zuständen auseinandersetzten, hat der Historiker Peter Ulrich Weiß gezählt. Dazu gehörte der „Ökumenische Friedenskreis“ ebenso wie die Gesprächskreise „Die Schmiede“ und „Kontakte“. Das Ministerium für Staatssicherheit zählte 50 „Führungspersonen“, die es zu überwachen galt. Auf etwa 300 bis 500 Personen schätzt Weiß den Kreis derjenigen, die in Brandenburger Gruppenstrukturen integriert und engagiert waren. Bei den letzten Kommunalwahlen der DDR, die am 7. Mai 1989 mit den üblichen Einheitslisten der Nationalen Front stattfanden, ergab sich eine Zustimmung von 98,85 Prozent zur vorgeschriebenen Parteilinie der SED. Dennoch demonstrierten die Bürger auf der Straße. Dies spiegelte sich in Brandenburg auch in den Wahlergebnissen wider, bemerkt Weiß. Seiner Berechnung nach hätten wenigstens 20 000 Wähler damals in Brandenburg gegen die Partei votiert. Vielfach sei es der Verdienst von Einzelpersonen und Gruppen gewesen, dass die unterschwellige Proteststimmung ein Ventil fand.
So wie am 10. Juni 1989 beim ersten Pfingstbergfest. Eingeladen hatten verschiedene Umweltschutzgruppen, zwischen denen es auch personelle Überschneidungen gab. Matthias Platzeck und Werner Futterlieb waren sowohl bei Argus wie auch bei der Arbeitsgemeinschaft Pfingstberg engagiert. Zweck des Festes war es, Spenden für die Rekonstruktion des Pomonatempels zu sammeln und weitere Aktivisten für Arbeitseinsätze zu gewinnen. Die vollkommen friedliche und konstruktive Ausrichtung der Festivität blieb auch dem sowjetischen Stadtkommandanten nicht verborgen: Er stellte eine Gulaschkanone zur Verfügung, wie die Wissenschaftlerin Ruth Wunnicke recherchiert hat. Dennoch beäugte die Stasi die Potsdamer Umweltaktivitäten weiterhin kritisch, schließlich dienten sie nur der „Anmahnung angeblicher staatlicher Defizite“ und der „Schaffung einer legalen Basis zur Durchsetzung oppositioneller Zielsetzungen“, zitiert Wunnicke aus entsprechenden Akten.
Tatsächlich hätten gerade die Umweltschutzgruppen der Wendezeit dazu beigetragen, auf Missstände aufmerksam zu machen und den Protest zu fokussieren, hat auch Jutta Braun festgestellt. Eine Ausnahme in der allgemeinen Aufbruchstimmung hätten nur die Sportler dargestellt. Die hätten sogar in der Wendezeit 1989/1990 für den Erhalt der recht erfolgreichen Sportstrukturen des untergehenden Staates demonstriert.
„Agonie und Aufbruch. Das Ende der SED-Herrschaft und die Friedliche Revolution in Brandenburg“, Jutta Braun, Peter Ulrich Weiß (Hrsg.), kostenlos erhältlich bei der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung
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