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Kultur: Aufwärmen

Tagung zu Fußball und Kultur Costa Ricas

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Man muss das Spiel lesen. Dem Fußballpuristen, der am Tag des Eröffnungsspiels der Weltmeisterschaft höchstens noch seine Fahne bügelt und den Kühlschrank befüllt, wird nicht ganz einleuchten, warum an diesem Fußballfeiertag gerade die Lateinamerikastudien der Potsdamer Universität eine Konferenz über den Zusammenhang zwischen Fußball, Literatur und Kultur des deutschen Auftaktgegners Costa Rica ansetzen.

Liest man das Spiel richtig, hatten die Literatur- und Kulturwissenschaftler dafür mehr Gründe, als einfach nur auf den von zunehmendem Wahnsinn angetriebenen WM-Zug aufspringen zu wollen. Zum einen, erklärte der einladende Romanistikprofessor Ottmar Ette den 60 Zuhörern im Kutschstall, wurde im fußballverrückten Costa Rica – wegen seiner politischen Stabilität und des Verzichts auf eine Armee auch „die Schweiz Mittelamerikas“ – der gestrige Freitag wegen der WM-Qualifikation zum nationalen Feiertag ausgerufen. Zum anderen sind die Veranstalter stolz auf einen gerade unterzeichneten Kooperationsvertrag mit der Universität der Landeshauptstadt San José. „Einer der besten Unis in ganz Lateinamerika“, wie Werner Mackenbach, der bereits dort als Gastdozent lehrt, heraushob.

Fußball und Literatur seien die beiden Erfolgsgeschichten Mittel- und Südamerikas, so Ette. Zahlreiche WM-Ttitel und Nobelpreise bezeugten das. Dass sich das globale Phänomen Fußball gar nicht so gut wie angenommen für literarische Bearbeitungen anbietet, zeigte Yvette Sánchez. Vom Fußball gehe eine eigene starke narrative Kraft aus. So dass der Sport durch die „narrative Überdosis“ einer doppelten Fiktionalisierung überfordert sein würde. Auf den großen Fußballroman warte man vergeblich.

Für Kulturwissenschaftler ist Fußball als Gegenstand besonders reizvoll, weil er, so Mackenbach, „die perfekte Vision einer Homogenisierung der Weltgesellschaft“ darstellt. Überall auf der Erde folgt man den gleichen Regeln und lässt sich auf die gleiche Weise begeistern.

Asymmetrien seien dennoch festzustellen. „Wir leben alle auf der derselben Welt, aber in verschiedenen Spielhälften“, zitierte der Wissenschaftler die Fußballweisheit des Ex-Nationalspielers Klaus Augenthaler. Dies gilt auch für die Gesellschaft Costa Ricas, die von einer relativ starken städtischen Mittelschicht geprägt ist. An der karibischen Küste jedoch leben die schwarzen Afro-Costaricaner, die noch bis 1949 nirgendwo anders im Land siedeln durften. Mittlerweile stehen fünf schwarze Spieler im Aufgebot der Nationalmannschaft. Über den Fußball fände Costa Rica so endlich zu der Identität einer multi-ethnischen Vielfalt.

Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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