Kultur: Aus dem Rahmen gefallen
Druckgraphik von Ebrahim Ehrari in der Potsdamer Galerie „burstert,albrecht“
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Seine Profession hatte er bereits als knapp 20-Jähriger gefunden: Den Umgang mit Stift und Papier. Dabei hatte die Arbeit als Werbezeichner im iranischen Ministerium für Wasser und Strom in Teheran wenig mit seiner zweiten wichtigen Tätigkeit zu tun: dem Tauchen als Pipeline-Schweißer auf der Insel Khark. Das war zwischen 1957 und 1966, bevor der gebürtige Iraner Ebrahim Ehrari nach Berlin umsiedelte, um an der Hochschule der Künste zu studieren. Knapp 40 seiner jüngeren grafischen Arbeiten sind noch bis zum 19. März in der Galerie „burstert,albrecht“ unter dem Titel „Tauchgänge“ zu sehen.
Wie ein Taucher muss sich auch der Besucher in die titellosen Blätter von Ehrari vollständig hinein begeben, muss sie dicht an sich herankommen lassen – oder wird gar nicht von ihnen berührt. Da stürmt ein Pferd aus einem Bild heraus, das schräg in einem kargen Raum fluchtet. Auf der Leinwand sind Strukturen wie Wellenberge zu sehen. Das Pferd, dem seltsamerweise die Augen verbunden sind, scheint nicht freiwillig seine Bildwelt zu verlassen, es wird von der glühenden Spitze einer Lanze getrieben, die droht, es aufzuspießen. Der Erklärungen zu der Symbolik bedarf es eigentlich nicht. Zu deutlich steht der Rahmen für Unfreiheit, die Spitze für Bedrohung, das Wasser für Leben und das Pferd für Kraft.
Doch bleibt etwas, wenn die Symbole verstanden, gleichsam aufgelöst sind? Auf jeden Fall mehr als das Staunen über das druckhandwerkliche Geschick von Ebrahim Ehrari, der von 1976 bis 2003 die Radierwerkstatt des Berliner Berufsverbandes Bildender Künstler leitete. Die grafische Feinheit seiner Blätter ist das Faszinierende, das die Augen anzieht und bannt. Sie hilft die zunächst befremdlich erscheinenden Aussichten in Ehraris Bildwelt zu eröffnen. Diese erschließt sich sodann trotz der Verwendung von bekannten Versatzstücken aus dem Fundus surrealer Kunst als in sich geschlossen, als eigenständig und als immer wieder anregend und aufstörend.
Da fliegt ein geflügelter Fisch mit langem Schnabel über Wellenkämme, die wie er selbst nur das Bild auf einer Leinwand sind, die ihrerseits auf einem Tisch steht. Überzeugt das nicht schlagartig und anhaltend davon, dass offenbar nichts so ist, wie es im ersten Moment erscheint? Darf man den Fisch glücklich schätzen, der auf einem anderen Blatt aus seinem mit einem ähnlichen Bild mit wildem Wasser, mithin im Wortsinn aus dem Rahmen gefallen ist und damit der jagenden Möwe entging, nun aber auf dem Trockenen zappelt? Ehraris Blätter durchweht die melancholische Sehnsucht desjenigen, der aus der einen Welt vertrieben wurde und sich in einer anderen Welt seinen Platz schaffen will. Das ist das uralte Thema von der Suche nach Heimat.
Für den handwerklich virtuosen und im Leben erfahrenen Grafiker liegt sein Zuhause wie der Weg dahin in seinen Arbeiten. Der Blick aus einem groß auf ein Blatt gesetztes Fenster schweift über eine weitere wild bewegte Wasserfläche, die Leben, aber auch Wissen bedeutet, darüber fliegt als Symbol der Freiheit ein Vogel, der wie der Betrachter auf die Wasser schaut. Zu diesen positiver gestimmten Arbeiten gehört auch jene mit den Vögel, die zwar nur als weiße Schatten vor einer dunklen Wand stehen, aber sie sind ein Paar und schließen in ihren gemeinsamen Umriss ein Fenster ein, für Ehrari das Symbol von Hoffnung, selbst wenn es vergittert ist und nur den Ausblick in eine Wüstenei bietet.
„Die Freiheit in den eigenen vier Wänden ist eine Illusion“, meint der knapp 70-Jährige Ebrahim Ehrari. Das kann man nicht bloß auf seine Bildwelt bezeichnen. Denn in ihr sind tief empfundene Erfahrungen mit der Realität enthalten. Aus seinen Blätter verweist der Grafiker zurück in die eigene Realität. Und weil die an ihr zu machenden, verstörenden Erfahrungen häufig ohne den schönen Schein der Kunst auskommen müssen, bedarf es der grafischen Fabelwelten, in die Ehrari seine Betrachter mitnimmt.
Die Ausstellung ist bis 19. März zu sehen, Mi-Sa 11-18 Uhr; im Internet: www.galerie-burstert-albrecht.de.
Götz J. Pfeiffer
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