Kultur: Aus der Bahn brechend
Morgen wird das Stück „Grösse Null“ des Theaterjugendklubs in der Reithalle A uraufgeführt: Sieben Frauen erzählen darin über ihre Sehnsüchte
Stand:
Was spielt man am besten in einem Schwimmbad? Die sieben jungen Frauen vom Theaterjugendklub dachten zuallererst an ein Stück über Magersucht. „Schließlich assoziiert man mit einem Schwimmbad durch seine Reinheit etwas Klinisches. Zudem ist es der Ort, wo Hüllen fallen und Körper zur Schau gestellt werden“, so Solveig Wittfoth, die am Rande der Proben das Wort für die aufgeweckte Mädchenriege übernimmt. Die Darstellerinnen machten sich im Frühjahr an die Recherche: Zu verschiedenen Prominenten erstellten sie ein „Dossier“. Namen wie Frida Kahlo, Kate Moss, Nicole Richie, Angela Merkel, Anne Frank, Käthe Kollwitz, Tina Turner, Jeanne d“Arc oder Condoleezza Rice landeten in ihrem Pool. Frauen, die sie mochten oder auch nicht. Schließlich ging es nicht nur um das Strahlende, sondern auch um das Dunkle, das zu jedem Menschen gehört. Bei der Auseinandersetzung mit den bekannten Figuren rückten sie indes immer weiter von ihrer Magersucht-Idee ab: Es entstanden vielmehr Patchwork-Identitäten, die sich mit dem eigenen Ich der Jugendlichen mischten. Nur noch Eve Seidel als Ashley stellt eine Bulemiekranke dar, die den anderen knallhart ihre Meinung an den Kopf wirft, aber innerlich immer mehr zusammen fällt. Christina Petschke spielt indes die auf Umwelt bedachte Inken. Sie will ihre Mitmenschen animieren, ebenfalls bewusster zu handeln, und ist frustriert, dass sie mit ihrer engagierten Art oft nur aneckt. Die von Hanna Siwkowski gezeichnete Eva ist indes das kleine Hausmütterchen. Gerade erst 22 hat sie schon ein dreijähriges Kind und fängt an, sich eingeengt zu fühlen. Sie trägt die Sehnsucht in sich, die gewohnte Bahn zu verlassen.
Jedes der sieben Mädchen schwimmt am morgigen Abend bei der Uraufführung von „Grösse Null“ in der Reithalle A seine eigene Bahn. Damit wird auch die Schwimmhalle, die als Bühnenbild die gesamte Spielzeit die Fantasie sprudeln lassen soll, bedient. Alle Frauen geben innerhalb des Episodenstücks nach und nach immer mehr von sich preis: Hinter dem Schein kristallisiert sich allmählich das wahre Sein heraus.
Ort, an dem nun statt Kleider ganz andere Hüllen fallen, ist ein Waschsalon. Dort taxieren sich die Frauen gegenseitig, kommen langsam ins Gespräch, zeigen Sympathie oder Abneigung. Astrid (Jördis Wölk) gibt den eher abgeschotteten, herben Typ. Sie will Karriere machen. Schließlich haben die Eltern ihr eingeimpft: „Wenn aus dir mehr werden soll, als aus uns, musst du kämpfen.“ Also krempelt sie die Ärmel hoch, wirft sich in ihr Jura-Studium und nimmt sich kaum Zeit, auf andere zu achten. Doch unterschwellig distanziert sie sich durchaus von diesen egoistischen Werten. Wird sie ihre Bahn verlassen, den Sprung ins kalte Wasser wagen? Bei den Improvisationsübungen baten die Regisseurinnen Manuela Gerlach und Kerstin Gnielka die Mädchen, sich auf einen Sprungturm zu stellen. Würden sie sich trauen, zu springen? Ihre unterschiedlichen Reaktionen flossen inhaltlich mit in die Monologe ein. „Während diese eine gewisse Schwere haben, geht es im Waschsalon auch ganz locker zu. Es ist viel Komik entstanden und wir zeigen, dass die Welt durchaus nicht nur grau ist“, so die Darstellerinnen. Am besten hat sich Alexandra (Solveig) darin eingerichtet. „Ich stehe im ziemlichen Kontrast zu den anderen, denn ich bin schon aus der Bahn ausgebrochen, in der die anderen noch schwimmen. Ich habe keine Lust auf vorgefertigte Lebensentwürfe und bin zufrieden mit mir: so wie ich bin.“ Alexandra hat das Abi mit Auszeichnung bestanden, doch gemerkt, dass nur Angelerntes kaum fürs Leben taugt. Sie ist vielmehr neugierig darauf, was der nächste Tag bringen wird. „Auf jeden Fall süßen Schokopudding und eine kräftige Arschbombe ins Wasser.“ Heidi Jäger
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: