Kultur: Ausbruchsversuche
Die Potsdamer Filmhochschule (HFF) war diesmal nicht nur durch ihre Filme auf der Berlinale präsent
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Wie für ein Kamerateam hingestellt steht eine junge Frau vor dem Cinemaxx-Kino und hält ein kleines Pappschild hoch. „Short-Films 19:00“ steht auf der Pappe. Sie sucht noch Karten für die traditionelle Berlinale-Vorführung der deutschen Filmhochschulen. Wie immer war die Vorstellung zwei Tage vor Ende der Berlinale schon lange ausverkauft. Zwei Treppen weiter unten, tief unter dem Potsdamer Platz drängt eine riesige Menschentraube in den Kinosaal. „Hat es geklappt mit den Karten“, raunt jemand in sein Handy. Eine anderer junger Mann setzt seine Koordinaten ab: „Wir sind vorne links!“
Der Potsdamer Beitrag „In deiner Haut“ von der HFF-Studentin Pola Schirin Beck läuft gleich zu Anfang des Filmblocks. Wie aufgezogen springt die quirlige, kleine Frau im Anschluss auf die Bühne und sagt, sie sei völlig überrascht gewesen, dass ihr Film überhaupt für die Berlinale ausgesucht wurde. Eine Mutter-Tochter-Geschichte hat sie erzählt. Klassisch angelegt die Konfliktlinie, die Mutter, die sich immer wieder in alles einmischt und die pubertierende Tochter Suse zu ihrer Verbündeten machen will. Sie merkt gar nicht, wie sehr sie Suse damit nervt. Dann taucht Mutters neuer Freund Erik auf, den Suse geradeheraus ablehnt. Vorerst. Bis sie ihre erwachende Sexualität dann doch gerade von ihm erfüllt haben will. Im falschen Moment kommt die Mutter hinzu. Erik flüchtet. Ob er weiß, dass auch Suse im Auto ist, erfahren wir nicht.
Natürlich spielt sich das etwas holzschnittartig angelegte Mutter-Tochter-Drama im schmucken Ferienhaus an der Ostsee ab, und natürlich wird Suses Erwachsenwerden von manifesten Essstörungen begleitet. Getrennte Eltern, satte Wohlstandswelt und Luxusprobleme, darauf treffen wir dann auch im Anschluss in dem Film „Lea“ von Steffi Niederzoll (Kunsthochschule für Medien Köln). Lea kompensiert ihre Langweile und Einsamkeit mit einer recht schrägen Sucht nach Sex. Wahllos sind ihre Männerbekanntschaften, kleinere und große Diebstähle kommen hinzu. Hin und wieder verfolgt sie auch mal einem Schulmädchen im Park. Ausbruchsversuche aus einer wohl situierten Bürgerwelt. Die so genannte Unterschicht taucht nur aus der Vogelperspektive auf. Wenn dann die jungen Filmteams nach der Vorführung auf die Bühne stürmen, wird schnell klar, dass der Filmnachwuchs hier genau die Welt beschreibt, der er gerade erst selbst entronnen zu sein meint. Nach dem Film begegnet man auf der Toilette einem etwas derangierten Rentner mit Plastiktüten. Es gibt sie also doch noch, die „normale“ Welt. Aber es dauert keine drei Minuten, bis ihn die Security aus der schillernden Berlinale-Welt wieder hinaus befördert.
Einen gewaltigen Kontrapunkt zu den Mutter-Tochter-Filmen setzt dann der schon mehrfach preisgekrönte HFF-Film „Preußisch Gangster“ von Irma-Kinga Stelmach und Bartoz Werner, der am Freitag vor Medienmachern gezeigt wurde. Hier steht die Sohn-Eltern-Beziehung im Mittelpunkt, ein Gegenstück zu den Tochter-Filmen, nur wesentlich realer. Drei Jungs in der brandenburgischen Provinz, ziemlich kaputt, sehr krass, HipHoper mit tief hängenden Hosen, einigen Vorstrafen, viel Drogen und locker sitzenden Fäusten. Ein Bravourstück dieser Film, denn man sitzt mitten drin im Leben der Jungs – so unangenehm laut, provokant, verroht und aussichtslos dieses Leben auch ist. Jedes dritte Wort ist „Alter“ und „Ey Mann“. Der Film schafft ein Spiegelbild der Probleme, die gerade junge Männer heute haben, zumal wenn sie „Wendekinder“ sind, die am Rande der ostdeutschen Wachstumskerne versuchen, irgendwelche Orientierungspunkte zu finden. Die HipHop-Band, die dem Film ihren Namen gab, gibt es wirklich. Die Jungs haben sich selbst gespielt. Und HFF-Absolvent Bartoz Werner sagt, dass sie am Ende besser spielten als die gecasteten Schauspieler-Eltern. Wohlgemerkt: 70 Prozent der Handlung ist echt. Eine enorme Leistung, den raubeinigen Typen so nahe zu kommen, dass sie sich vor der Kamera derart weit öffnen.
Zurück in die Welt der Filmemacher ging es dann am Freitagnachmittag auf dem ersten Berlinale-Empfang der deutschen Filmhochschulen, dessen Initiative maßgeblich von der Potsdamer HFF ausging. Hier zeitigt wohl die jahrelange Erfahrung mit dem HFF-eigenen Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ seine Wirkung. Eine viel versprechende Idee der Empfang, präsentierten doch hier zahllose Nachwuchs-Talente ihre Filme und Filmideen vor der Medienwirtschaft. Professionell aufgezogen und charmant über die Bühne gebracht. Vielleicht auch kein Zufall, dass es oft die HFF-Filme waren, die am meisten Beifall erhielten. Etwa das trashige Ost-West Comedy-Märchen „Polska Love Serenade“ von Monika Anna Wojtyllo. Aber auch ganz neuen Ideen begegnete man hier, etwa den „mobilen“ Formaten, die auf Wunsch dann auch noch interaktiv sind. Vielleicht die Zukunft des Films: Jeder bastelt sich seine Show, seine Serie oder den Thriller auf dem Laptop selbst zusammen.
Nein, daran glaubt Berlinale-Chef Dieter Kosslick nicht. Sichtlich mitgenommen vom Festival-Marathon tänzelte er in sportlicher Berlinale-Trainingsjacke auf den Empfang. Er glaubt nicht, dass in Zukunft Filme nur noch auf Handys oder Laptops angeschaut werden: „Das Kino lebt“. Den Nachwuchs -Markt der Studenten fand er übrigens eine „Mega-Super-Idee“. Was geschwäbelt eher niedlich als anerkennend klingt.
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