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Kultur: Außer Rand und Band

Katrin Haneder und Sebastian Sommerfeld wollen die Angst der Depression fühlbar machen

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Es hört sich schon etwas wahnsinnig an, was dieses Paar auf die Bühne des „nachtboulevard“ bringen will. Die Schauspieler werden sich in ihrer Performance „Pinkfreud“ zur Musik von Beethoven so lange in Ekstase tanzen, bis sie aus der Normalität herausfallen, keinen Widerstand mehr spüren. Ja, kurz vor dem Übergeben sind. Sie möchten die Angst der Depression fühlbar machen.

Die 27-jährige Katrin Haneder und ihr 45-jähriger Lebens- und Bühnenpartner Sebastian Sommerfeld stellen sich dem theatralen Versuch, eine an den Rand der Gesellschaft gedrängte Krankheit in die Mitte zu holen und sie auf der Bühne in ihrer Dunkelheit sichtbar zu machen. In ihrem ersten Projekt, das am morgigen Donnerstag in der Reithalle des Hans Otto Theaters Premiere hat, geht es um Depression. Abende zu Schizophrenie und Borderline sollen folgen.

Beide sitzen bei einem Vorgespräch auf ihrer pinkfarbenen Ottomane unter einem Pink-Rosa-Gemälde. Sie erzählen von ihren Lebenswegen, die nun in dieses ungewöhnliche Kunstprojekt münden. Nichts wirkt zufällig in diesem in Szene gesetzten Wohnraum in Potsdam-West, den sie seit einem halben Jahr bewohnen. Neben der Couch liegt auf dem Parkettfußboden ein Bücherstapel: Bildbände von Rodin, Hieronymus Bosch, Michelangelo. Künstler, von denen sie sich in ihrer geballten skulpturalen und gemalten Kraft inspirieren ließen. Vor allem aber waren es die Gespräche mit Depressiven, die sie für ihre Aufführung verarbeiteten.

Für Sebastian Sommerfeld, Sohn des berühmten deutschen Stummfilmpianisten und Bundesfilmpreisträgers Willy Sommerfeld, der in der 50er Jahren Musikalischer Leiter am Hans Otto Theater war, ist die Kunst nur ein Strang in seinem Leben. In wenigen Wochen legt er die letzte Prüfung zum Facharzt für psychosomatische Medizin ab. Eine Ausbildung in chinesischer Medizin hat der gebürtige Westberliner bereits absolviert. Trotz Schauspiel- und Puppenspielstudiums sowie Engagements an verschiedenen Bühnen führte ihn sein Weg immer wieder zum Medizinstudium zurück. Über zwölf Jahre hat es sich schließlich erstreckt. „Im Theater reibt man sich sehr an Autoritäten. Vieles ist nicht selbstbestimmt. Man führt aus, was einem vorgesetzt wird. Die Medizin führte mich zur Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit zurück“, sagt Sebastian Sommerfeld. Lange habe er gedacht, dass er sich für eines von beiden entscheiden müsse: Theater oder Medizin. „Inzwischen weiß ich, dass ich mich auf beiden Feldern angstfrei bewegen kann und mir und anderen nichts mehr beweisen muss.“ Viele Jahre habe er sich an seinem 2007 verstorbenen Vater abgearbeitet, diesem sehr bestimmenden, von ihm verehrten Mann, der noch mit 103 Jahren am Klavier saß. „Ich wollte ihm etwas entgegensetzen.“ Nun ist es das Thema Medizin und Gesundheit, das er provozierend in eine Kunstform jenseits von Etiketten und Schlagwörtern bringen möchte. „Etwas, was es so noch nicht gibt.“

Katrin Haneder hat sich für „Pinkfreud“ intensiv in die Recherche geworfen, neun depressive Menschen einer Selbsthilfegruppe interviewt, um Zugang zu der Krankheit zu bekommen. Die in einem bayrischen Dorf aufgewachsene Politikwissenschaftlerin und Slawistin, hat sich nun mit der Sprache psychisch kranker Menschen auseinandergesetzt. Sie ist mit einem Fragenkatalog auf die Patienten zugegangen. „Besonders schöne Antworten bekam ich auf die Fragen: ,Kennen Sie Ihre Wünsche?‘ Oder ,Beschreiben Sie die Aussicht aus Ihrer Wohnung.‘ Fast immer wurde jedoch ein Satz angefangen und nach wenigen Worten wieder abgebrochen.“ Die transkribierten Interviews hätten nichts Stringentes und Narratives ergeben, spiegelten aber sehr gut das Krankheitsbild. „Wir hatten großes Glück, dass alle von Anfang an bereit waren, uns ihre Gedanken herzugeben, die wir natürlich anonymisiert haben“, so die junge Frau, die nach privatem Schauspielunterricht in Leipzig nun in ihrem zweiten großen Theaterprojekt auf der Bühne stehen wird. Ihre vierjährige Ausbildung im klassischen Ballett dürfte ihr bei diesem Tanzmarathon sehr zugute kommen. Sebastian Sommerfeld hat sein eigenes Bewegungsalphabet schon am Schauspiel Leipzig entwickelt. „Wir haben vieles ausprobiert und vieles verworfen, schließlich zu unserem Textpool Musik dazu genommen“, erzählt er. Dass sie auf Beethoven zurückgreifen, habe auch mit einem ihrer Gesprächspartner zu tun. „Bei der Musik von Beethoven sehe ich ein paar Fasern, an denen ich hängen will im Leben“, sagte der Mann.

Die Schauspieler werden sich in ihren drei „nachtboulevard“-Vorstellungen ebenerdig unter die Zuschauer mischen, von ihnen umzingelt sein. „Aus der Erschöpfung heraus schauen wir ihnen in die Augen, mit der Frage: Was bewirkt es in dir, dass ich mich so verausgabe? Wir wollen eine Ebene finden, die den Erschöpfungszustand plastisch macht. Es muss auch eine Zumutung sein: für uns und für die Zuschauer. Die Tür zum Gehen ist offen, der Abend unberechenbar.“

Sie wollen durch ihre ekstatischen, außer Rand und Band geratenen Körper, aus dem die Erzählungen hörbar werden sollen, die Angst der Depressiven fühlbar machen. „Aber wir wollen nicht so tun, als seien wir selbst depressiv. Das ist der Unterschied zu einer klassischen Theaterrolle.“ Am Ende des Abends geht es in die Normalität zurück, „wir bleiben nicht im Wahnsinn, schon aus Selbstschutz“, so der Schauspieler und Mediziner.

Jenseits wissenschaftlicher Literatur suchen die Künstler einen gefühlsmäßigen Zugang zu dieser immer stärker um sich greifenden seelischen Krankheit. „Wir wollen zeigen, wie es ist, diese Krankheit aushalten zu müssen und eine Vertrautheit und Nähe zu Menschen bekommen, die daran leiden.“ Heidi Jäger

Premiere am morgigen Donnerstag, 19.30 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse

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