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Von Andrea Schneider: Austausch der Formen

Artists-in-Residence: In der fabrik fanden Tänzer aus ganz Europa zu gemeinsamen Ausdrucksformen

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Kunst ist Aktion. Und so wird der Zuschauer dazu angehalten, selbst Teil eines Experimentes zu werden, als er am Samstagabend das Studio 6 der fabrik Potsdam betritt. Der kleine Raum ist mit Sensoren ausgestattet, die auf Bewegung und Licht reagieren, indem sie bei Aktivierung einen schrillen Signalton verursachen. Um diesen zu vermeiden, schlängeln sich die Gäste nahe am Boden in die hinteren Ecken des Raumes und werden so Teil eines Projektes, das während der vergangenen zwei Wochen im Rahmen des Projektes Artists-in-Residence stattfand.

Das Programm, das es jungen Künstlern ermöglicht, mit Hilfe eines Stipendiums in den Austausch mit anderen Künstlern zu treten und den nötigen Raum für eigene Projekte zur Verfügung stellt, hatte junge Choreografen aus Amsterdam, Athen, Brüssel, Tel Aviv, Berlin und Paris eingeladen, an einer Probenphase in den Räumen der fabrik Potsdam teilzunehmen. Einige von ihnen waren nicht zum ersten Mal in der fabrik zu Gast. Am Samstag nun sollten in fünf 20-minütigen Einheiten die Ergebnisse der Recherchearbeit präsentiert und diskutiert werden.

Der Abend bot einen Kosmos an Möglichkeiten. Gilad Ben Ari (Israel) und Venke Sortland (Norwegen) machten ihre eigenen Rechercheerfahrungen zu der des Zuschauers, indem sie diesen zwangen, kurzzeitig eine Körperhaltung einzunehmen, die nicht seiner ursprünglichen entsprach. Damit verdeutlichten sie ihre Fragestellung, die sich mit kulturellen oder beruflichen Einflüssen auf unsere Physikalität befasst. Gilad Ben Aris erweiterte damit seine bisherige Arbeit zu den Fragen der Körperlichkeit des Menschen. Was passiert etwa, wenn der Tänzer über einen längeren Zeitraum die Körperhaltung eines israelischen Wachpostens einnimmt? Um ihre Arbeit am Thema zu veranschaulichen, hatten die beiden Künstler ihre Präsentation als Vortrag ausgearbeitet und Fotos gemacht, die den Prozess der Recherche begleiteten. Sie erschlossen sich anhand von Videosequenzen die fremde Körperhaltung und entwarfen ein Gestell mit Gummibändern, dass sie in die fremde Position zwang. Die Vorrichtung machte die Körper der Künstler plötzlich zum öffentlichen Raum.

Dass Recherchearbeit auch ganz anders aussehen kann, zeigten Ehud Darash (Israel/Deutschland) und Evamaria Bakardjiev (Deutschland). Das Duo versprach die Entwicklung eines gemeinsamen Bewegungsvokabulars, performt durch den eigenen Körper. Unterstützt von ihrem Mentor Martin Nachbar, hatten die beiden eine Choreografie entwickelt, die an fremdbestimmte Marionetten erinnerte. Unsichtbare Kräfte zwangen die Tänzer in Positionen und Bewegungsabläufe, die sie mit Verwunderung, Freude oder Abneigung ausführten. Anfänglich ausschließlich mit Hilfe der Körper, unterstützten die beiden gegen Ende der Präsentation ihre Arbeit „True Narrative“ mit einem Song, dessen Inhalt den Grundgedanken der Performance noch unterstützte. Abschließend luden skizzenhafte Worte und Wortgruppen an den Studiowänden dazu ein, den Prozess der Arbeit noch einmal nachzuempfinden.

Viel Zeit blieb allerdings nicht, denn auf der Bühne der Fabrik wartete bereits das nächste Rechercheergebnis. Und lies den Zuschauer nach über zwanzig Minuten ermüdet, entnervt oder ratlos zurück. Die jungen Choreografinnen Elpida Orfanidou (Griechenland/Deutschland), Vasiliki Mouteveli und Vasiliki Filiou (beide Griechenland) hatten mit Hilfe ihrer Mentorin Litó Walkey eine Komposition entwickelt, in der sie Licht, Sound, Raum und menschliche Aktion miteinander verwoben und das Ergebnis live performten. In einer Endlosschleife liefen die drei Protagonistinnen durch das Bühnenbild, rückten scheinbar sinnlos Beleuchtung und Mobiliar mal hier- und mal dorthin, unterbrochen von einer kurzen Tanzsequenz oder einer Sprachperformance aus irritierenden, aneinander gereihten Wortgruppen. Über allem ein dumpfer, beinahe bedrohlicher Ton, der viele schließlich dazu veranlasste, vorzeitig den Saal zu verlassen und die Frage nach gewollter Provokation in den Raum zu stellen.

Wirklich provokant und unglaublich erheiternd dagegen „La feme est un béte de scéne politique“ von Céline Larrére, Amélie Gaulier, Lise Vermot (alle Frankreich) und Ana Schnabl (Slowenien). Die jungen Frauen, die sich vor ihrer Zusammenarbeit nicht kannten, schienen mit ihrer Arbeit unter anderem einen anarchistischen Blick auf die eigene choreografische Arbeit zu werfen. In einem bunt zusammen gewürfelten Arrangement aus AC/DC Poster, Pferdetorso und Deckenwust überhöhten sie aktuelle weibliche Denkstrukturen, die sich zunehmend um das Posieren, Meditieren oder das Fortpflanzen drehen. Hier sprühte die Lust an der Bewegung, an der Improvisation und der Provokation und vervollständigte ein Bild völlig unterschiedlicher künstlerischer Fragestellungen und Umsetzungsformen.

Andrea Schneider

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