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Kultur: Beargwöhnter Glücksfall

Gestern wurde das Museum Fluxus+ am Kulturstandort Schiffbauergasse eröffnet

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Sie stecken von Kopf bis Fuß in bunten Monturen und sind mit ihren brusteinnehmenden Logos die wandelnden Fluxus-Werbeträger. Doch was „Fluxus“ bedeutet, wissen die 50 Schüler von der Berliner Fritz-Karsen-Gesamtschule nicht. Noch nicht.

Nach dem zweistündigen Eröffnungsprogramm des Kunstmuseums am Montagvormittag in der Schiffbauergasse werden sie schließlich selbst Teil dieser Kunstbewegung: Jeder wird mit einem Musikinstrument ausgerüstet, um dann als „Little Men“-Orchester der Gästeschar den Marsch ins Atrium des neuen Hauses zu blasen. Nicht auf die richtigen Töne kommt es dabei an, sondern auf die Spontanität. Denn Fluxus hat nichts mit dem traditionellen Kunstbegriff zu tun. Es will Aktion, Provokation oder einfach Spaß. Bei so einer grenzenlosen Angelegenheit scheiden sich natürlich schnell die Geister: Von „gewöhnungsbedürftig“ über „Kindergarten“ bis „witzig-doppelbödig“ reichen dann auch die Meinungen angesichts des ersten Fluxus-Auftritts in der Stadt. Gerade im Osten Deutschlands, wo der Blick vor allem am Realismus geschult wurde, schaut man heute eher skeptisch und etwas ratlos auf dieses Kind des Westens, um das es allerdings inzwischen recht ruhig geworden ist.

Potsdam verleiht ihm nun wieder mit Pauken und Trompeten eine Stimme, allen voran Heinrich Liman, der mit seiner Privatsammlung das Gros der Schau bestimmt. Auf rund 1000 Quadratmetern will er zeigen, was diese Kunst in den vergangenen 40 Jahren bewegte, allen voran der vor zehn Jahren verstorbene Wolf Vostell, mit dem Liman eng befreundet war (PNN berichteten).

Liman spendete zur Begrüßung erst einmal ein recht selten zu hörendes Lob: „Die Potsdamer Stadtverwaltung ist eine tolle, sie hat ihr bestes gegeben, dass wir rechtzeitig fertig geworden sind.“ Vielleicht lag es ja auch an Limans guter Beziehung zu Erich Jesse, dem Geschäftsführer des Sanierungsträgers, dass so auf die Tube gedrückt wurde. Jesse war es schließlich auch, der Fluxus nachdrücklich den Weg in die Schiffbauergasse geebnet hat. Anfangs gab es noch den Traum von einem großen Auto, das am Tiefen See mit dem Museum „an Bord“ dauerparken sollte. Doch dagegen liefen die Kunst-Anrainer Sturm. Und da sie bei der gestrigen Eröffnung fast alle durch Abwesenheit glänzten, scheinen die Animositäten noch immer nicht ganz beigelegt, auch wenn statt Auto jetzt ein ehemaliger Pferdestall am Schirrhof das Museum beherbergt.

Oberbürgermeister Jann Jakobs sprach von einem Glücksfall für die Stadt, zumal das Museum auf eigenes Risiko ohne öffentliche Mittel wirtschafte. „Es ist das erste Museum für moderne, internationale Kunst der Stadt und dazu an so einem interessanten urbanen Ort. Ich hoffe, dass es die Besucher findet, die es verdient.“

Gestern mischten sich unter die vielen Berliner Gäste auch zahlreiche Kulturschaffende der Stadt. Wie Renate Grisebach, Vorstandsvorsitzende vom KunstHaus. Sie glaubt, dass Fluxus der Stadt nur gut tun könne. „Es bringt ein unkonventionelleres Publikum nach Potsdam, das an den verschiedensten Facetten der Kunst interessiert ist.“ Galerist Werner Ruhnke sagte, dass Fluxus eigentlich nicht in ein Museum passe, deshalb sei es interessant zu sehen, wie man dem Plus dahinter Gewicht verleihe. Das Plus wird derzeit von Hella De Santarossa, Costantino Ciervo, Lutz Friedel und Sebastian Heiner vielstimmig ausgefüllt. Vier sehr unterschiedliche Künstler, die mit Fluxus nur entfernt verbunden sind.

Doch der Tag Eins im Potsdamer Fluxus-Leben gehörte einem Pionier dieser wenig fassbaren, fließenden Kunstrichtung: Emmett Williams, der im vergangenen Jahr in Berlin 81-jährig starb. In drei seiner Kunstwerke konnte man ihn posthum per Video erleben: u. a. als einer von zwei Männern, die sich bei gedankenverlorenen Spielereien auf dem Klo filmen ließen: „ein „ironisch-subtiler Kommentar auf das Pissoir von Marcel Duchamp“, wie Wulf Herzogenrath, Direktor der Kunsthalle Bremen, einzuordnen wusste. Für ihn sei Williams ein Geschichtenerzähler, der Denkanstöße gebe. „Ihm geht es nicht um ein teures Bild über der Couch, sondern um Gedankenspiele, über die er uns in ein Gespräch verwickeln will.“ Williams sei das Gegenstück zu Vostell, der mit seiner kraftvoll-politischen, aktuellen Kunst in die Medien wollte. William sei genau das Gegenteil: „ruhig und unspektakulär“, betonte der Kunstexperte. Und so sehe man bei Fluxus nicht nur Wildes, Kaputtes, Politisches, sondern auch Liebenswürdiges. Herzogenrath gratulierte Liman, dass er Fluxus das Plus zugegeben habe. „So kann das Museum die alte Mannschaft zur nächsten Generation führen.“

So wie symbolisch bei „Little Men“. Ann Noel, Witwe Emmett Williams, brachte sie in der jungen „Marching-Band“ 50-köpfig zum „Klingen“. Am Ende hingen indes alle bunten „Strampler“ wieder am Haken. Und die Schüler fühlten sich von „Fluxus“ befreit.

Geöffnet täglich 12 bis 20 Uhr, Eintritt

7,50/erm. 3,50 €, bis 13 Jahre frei.

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