Kultur: Bedenke das Ende – nicht nur mit Grauen „Memento mori“ in der Dorfkirche Groß Glienicke mit zwei Uraufführungen
Memento mori! – Bedenke das (eigene) Ende, dieser altlateinische Spruch sollte die Menschen einst vor jedweder Hybris bewahren.
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Memento mori! – Bedenke das (eigene) Ende, dieser altlateinische Spruch sollte die Menschen einst vor jedweder Hybris bewahren. Aber es nützte nichts. Bilderstürmer etwa räumten während und nach Luthers Reformation auch hierzulande viele Kirchen aus, darunter die von Alt-Kladow. Jene, die heute unangemessen „Dorfkirche Potsdam/Groß Glienicke“ heißt, wurde wegen des Ribbeck’schen Patronats verschont. Die Ecce-homo-Darstellung am Altar (1707) blieb der Nachwelt erhalten, des Gotteshauses Schmuck und Stukkatur ebenfalls. Doch was der Zeit verfiel, konnte jüngst mit Hilfe des engagierten Fördervereins vor Mäusen und Motten gerettet werden. Groß Glienicke hat eine Bilder-Kirche. Zusammen mit der Panzerhalle und dem Nachbarn in Kladow erkor sich „Kulturland Brandenburg“ auch diesen barocken Bau zum Standort seines Themas „1000 Jahre Christentum“. Eine gewichtige Ausstellung mit sehenswerten Arbeiten zum Thema „Memento Mori“ folgt diesem Impetus mit Ernst und Strenge. Unter der Orgelempore findet man brillante Arbeiten von Johannes Heisig, letztes Jahr noch „Stadtmaler in Eisenach“, eine neunteilige Litho-Folge des Titels „O du vor Gott erhöhte Kreatur“ (2004/05) nach uralten Vorlagen. An der Orgel-Balustrade „Das Ereignis“, ein Gemälde in Großformat, Bezug auf den 11. September nehmend: Die vor Rauch und Trümmern fliehenden Menschen erinnern an einen „danse macabre“, an mittelalterlichen „Totentanz“. Im Altarbereich stellt Lothar Seruset seine bildgewordenen Gedanken zum Thema aus. Zwei grob geschnitzte Figuren balancieren im angestrengten Liegen ein Schiff, welches die Kirche bedeutet. Auf einem steht ein Schwein (die Versuchung), auf dem anderen liegt ein abgeschlagener Kopf: Die Ikonographie der Alten „funktioniert“ noch immer. Rechts ist eine riesige Druckplatte verankert, das Original zum Thema „Ecce homo“, daneben die ausgedruckten neun Farbgraphiken in scheinbar ganz naiven Bildern. Wer hier innehält, erfährt sehr viel. Als „Begleitveranstaltung“ zur Ausstellung gab es am Sonntag ein recht gut besuchtes Konzert. Volker Schrewe (Bariton) aus dem Westfälischen und der Pianist Michael Seewann (München) gastierten mit Werken von Carl Loewe (Totentanz op. 44 nach Goethe, „Erlkönig“), Brahms eindrucksvoll-dunkle „Edward-Ballade“ und Mussorgski’s „Liedern und Tänzen des Todes“, wobei sich die Künstler einigten, den „Feldherrn“ wegzulassen: das Dröhnen vom Krieg hätte das Klavier beschädigen können. Schrewes Bariton ist tief, in allen Anforderungen sicher und äußerst voluminös, selbst als er Herders „Edward“ rezitierte. Höhepunkt waren zwei Uraufführungen. Walter Steffens (geb. 1934) war auf atonaler Basis schon lange Bildern zugetan, jetzt auch Texten. Von ihm hörte man neben Vertonungen von Droste-Hülshoff erstmals Weerth’s „Hungerlied“ und „Es war einmal ein armer Schneider“. Er favorisiert fünfstimmige Akkorde auf der Achttonskala. Der Hunger hämmert, beim zweiten Werk beobachtete man eine seltsame Spannung zwischen der getexteten Moritat und völligem Mangel an Humor, wenigstens bei der Interpretation. Überwiegend kantig und gravid wirkten auch „Amor, Tempo e Morte“, vier Lieder nach Gedichten von Michelangelo, deren letztes, „Ben tempo saria omai“ richtig garstig anzuhören war. Sie stammen von Max Beckschäfer (geb. 1952). Er kennt Italien, das Land der Harmonien, doch sein Opus weiht sich deutscher Gedankenschwere, der urwüchsigen Kraft des Leidens. Geschmackssache. Der Bariton hatte keine Mühe, die ausgreifendende Atonalität darzustellen, doch muss moderne Musik so dräuend, so pressiert klingen? Die Alten sahen im Tod nicht nur Grausen, auch schmeichelhaft-süße Melodeien. Gerold Paul
Gerold Paul
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