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Kultur: Befruchtung durch Fremdbestäubung

Junges Potsdamer Unternehmen brachte das erste deutsch-polnische Kulturmagazin „Bluehn“ heraus

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Junges Potsdamer Unternehmen brachte das erste deutsch-polnische Kulturmagazin „Bluehn“ heraus „Wir wohnen in einem Haus mit der Nummer 13 und kämpfen ständig mit kleinen und größeren Katastrophen.“ Dennoch strahlt Christina Kubala. Was bedeutet auch schon der Absturz einer Webseite? Endlich ist sie in einer Stadt angekommen, in der sie gern länger wohnen möchte und in der auch ihre zwei Kinder wieder fröhlich sind. Die 31-jährige ist allein erziehend und Jungunternehmerin. Der Sitz ihrer Firma mit dem sinnträchtigen Namen „ernst + gladiola“ ist in Potsdam. Und auch in Krakau. Gerade eben ist das erste Ergebnis der einjährigen deutsch-polnischen Zusammenarbeit in den Zeitungsläden erschienen: das zweisprachige Kulturmagazin „Bluehn“. „,Bluehn“ wie blühende Landschaften, bloß pointiert. Es steht aber auch für den ewigen Anfang, und vielleicht auch für geistige Befruchtung durch Fremdbestäubung.“ Christina Kubala lebt, was sie sagt und das ist auch die Stärke von „Bluehn“. Die Macher berichten über sich selbst, bringen ihre ganz persönlichen Erfahrungen in einen größeren, gesellschaftspolitischen Kontext und servieren das Ganze frisch und voller Ideen. „Bluehn“ ist kein Reiseführer, sondern eine Annäherung – wie in einer Gastfamilie. Das Interesse an Polen hat bei der aus Essen stammenden Frau einen ganzen privaten Ursprung. „Ich war mit einem Polen, der in Cottbus aufgewachsen ist, verheiratet.“ Die Ehe ging schief, die Liebe für Polen blieb. Die Firmenidee lag in weiter Ferne. Frühzeitig klar war für Christina Kubala nur, dass sie den Weg zur Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sucht. „Zuerst machte ich ein Volontariat in einer Agentur für Finanzdienstleistung in Dresden. Doch Dresden versprach keine Perspektive.“ So begann sie eine Ausbildung für Marketing und Werbung in München. Parallel dazu arbeitete sie bei der Hypovereinsbank, was ihr bald zu dröge wurde. Um sich das Studium zu finanzieren, nahm sie sich die verschiedensten Jobs, putzte auch die Klos im Biergärten oder saugte als Zimmermädchen kilometerweit groß gemusterte Teppiche im Bayrischen Hof. Und immer waren die kleinen Kinder da, die auf die Mutter warteten. „Es war eine sehr, sehr schwere Zeit.“ Zum Glück sprang ihr in der WG ihre ungarische Mitbewohnerin zur Seite. „So haben meine Kinder frühzeitig die Ostmentalität geschnuppert, wobei die polnische und ungarische nochmal sehr verschieden sind.“ Als frisch gebackene PR-Fachwirtin und Kommunikations-Wirtin kehrte sie nach dem Studium Bayern schnurstracks den Rücken: „Vor allem wegen der katastrophalen Kinderbetreuung und der zu hohen Mieten.“ Sie zog wieder nach Essen, zu den Eltern, und wusste die Kinder in besten Händen. Und sie hatte nun auch die Möglichkeit, sich am „Haus Busch“ in Hagen zur PR-Journalistin zu qualifizieren. „Dort habe ich meine tolle Kollegin Joanna Balinska kennen gelernt. Sie ist aus Krakau und hat in Bonn Germanistik und Politologie studiert. Zudem ist sie eine ausgezeichnete Porträtschreiberin. Doch mit ihren Gaben konnte sie nicht viel anfangen: deutsche Redaktionen waren nicht an einer Zusammenarbeit interessiert. Man traute es einer Polin wohl nicht zu, deutsche Artikel zu schreiben.“ So taten sich also die zwei Frauen zusammen, verließen mit Kind und Kegel „das sich in fester journalistischer Hand befindliche Essen“, zogen nach Berlin und damit auch dichter nach Polen. „Wir fragten uns, was wird gebraucht?“ Ihre Antwort war ein Netzwerk für interkulturelle Kommunikation. Inzwischen sind sie zu zwölft: Fotografen, Grafiker, Kuratoren, Autoren, Künstler, Berater – von Anfang 20 bis Mitte 60. Die Jüngeren lernen von den Älteren. Alle haben deutsch-polnische Erfahrungen, beherrschen drei Fremdsprachen und sind sehr selbstständig. „Und ich lege auch großen Wert auf Perfektionismus“, meint Christina Kubala, was sie mit ihrem Äußeren unterstreicht. Die schwarze Jacke über der gestreiften Bluse erträgt sie trotz der großen Hitze. Sie ist eben Geschäftsfrau. Aber nicht nur. Bei „ernst+gladiola“ soll auch das Menschliche nicht zu kurz kommen. Und so lädt das Unternehmen auch alleinerziehende Mütter zur Mitarbeit ein. „Das gibt es viel zu selten“, weiß sie nur zu gut. Berlin haben sie inzwischen hinter sich gelassen. „Der Prenzlauer Berg war uns zu hype, zu viel Oberfläche, zu wenig Substanz. Auch die Spielsituation für die Kinder war schwierig.“ Seit fast einem Jahr wohnen sie in Potsdam und genießen es. Anfangs war das Wohnzimmer auch Christinas Büro. „Inzwischen haben wir ein richtige Arbeitsstätte, gleich über meiner Wohnung. So sind die Kinder immer erreichbar, obwohl sie neun- und zehnjährig inzwischen recht selbstständig sind und sich auch in ihrer Max-Dortu-Grundschule total glücklich fühlen.“ Was befördert nun dieses Netzwerk mit dem wohlklingenden Namen? „Wir beraten deutsche Firmen, die Filialen in Polen haben oder Ambitionen, sich auf dem polnischen Markt zu präsentieren. Das gleiche gilt auch, für polnische Firmen in Deutschland.“ Um solche Geschäfte zu befördern, muss man zuerst einmal die Mentalitäten und auch die Klischees voneinander kennen. Und mit diesen spielt auch der Firmentitel: „Ernst ist ein Name, den in Polen jeder kennt; Ernst mit Birkenstockschuhen – der Inbegriff des deutschen Mannes, wie der Pole sich ihn vorstellt. Mit gladiola assoziieren wir wiederum die deutsche Vorstellung von den hübschen Polinnen.“ Ernst stehe aber auch für Kommerz. Und gladiola für Spaß. „Beides soll sich bei uns die Hand geben.“ Die ersten Kunden haben sie mit ihrer Philosophie bereits gewonnen: aus der polnischen Filmbranche und aus Hollywood. Die Witwe des Regisseurs Samuel Fuller will die in Amerika so erfolgreiche Biografie ihres verstorbenen jüdischen Mannes – er hat oft in Polen gearbeitet – auf dem deutschen Lesermarkt platzieren. „Nun suchen wir nach einem Verleger. Das Gleiche gilt für einen polnischen Produzenten, der ebenfalls hier eine Biografie veröffentlichen möchte.“ Zudem arbeiten sie an einer Ausstellung zum Thema „Wandel“ mit Fotoarbeiten, Installationen und Kurzfilmen. „Dazu haben wir 12 Kunsthochschulen involviert. Von den bislang 50 Einsendungen suchten wir bereits 16 sehr gute heraus. Wir haben für die Künstler einen Chatroom eingerichtet, so dass sie sich auch untereinander kennen lernen. Einige trafen sich bereits persönlich. Und genau diesen Austausch wollen wir anregen.“ Den Auftakt für die Ausstellung gibt es am 18. November im Waschhaus, danach geht es nach Berlin, Breslau, Krakau und Essen. „Über solche Projekte wollen wir Brücken bauen, auch neue kulturelle Vorhaben initiieren.“ Wer in dem Jahresheft „Bluehn“ blättert, wird vieles von Christina Kubalas und auch von Joanna Balinskas Gedanken und persönlichen Erfahrungen wieder finden: wie in den Porträts von fünf Reinigungskräften, die das Klischee der deutschen Sauberkeit, die die Polen sehr bewundern, aufgreifen. Oder auch die Reportage „Plastiktüten voller Geld. Brause im Ostblock“, der ihre beiden Geschichten zusammenführt. Das von Christina so bewunderte polnische Improvisationstalent findet seinen Niederschlag in dem Porträt über eine Designerin. Es sind spannende Menschen, die dem Leser in „Bluehn“ begegnen. Sie alle sind in Bewegung, offen für Neues. Das, was die Netzwerkarbeiter von „ernst+gladiola von Polen und Deutschen erwarten: „Sie müssen sich aufeinander zu bewegen. Das ist genauso wie in der Freundschaft oder in der Liebe.“ Bei so viel Bewegung dürfte auch eine Hausnummer 13 dem Glück nicht im Wege stehen. „Bluehn“ ist u.a. in den Bahnhofspassagen erhältlich und kostet elf Euro.

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