Kultur: Behauptungen
„Leonce und Lena“ beim Theater Comédie Soleil
Stand:
Ein König ist ein König und ein Wort ist ein Wort. Peter, der aufgeklärte Regent des sagenhaften Reiches Popo, hatte ja vor aller Ohren verkündet, seinen Sohn Leonce mit Prinzessin Lena des Nachbarreiches Pipi zu verheiraten. Wie soll er dem Volke nun erklären, dass daraus nichts wird? Sein königliches Wort ist in Gefahr, denn unabhängig voneinander machten sich Infant und Infantin – sie kennen sich nicht, sie lieben sich nicht – gen Italien aus dem Staube.
Dies in etwa ist die Grundsituation des Lustspiels „Leonce und Lena“, worin Georg Büchner ein Jahr vor seinem Tod 1837 so ziemlich alles verspottet, was ihm unheilig war: deutsche Kleinstaaterei, Royalismus, Aufklärung, Empfindsamkeit nach Werthers Facon, literarische Romantik, Italien-Sehnsucht, in summa ein Vermächtnis des mit 25 Jahren verstorbenen Dichters und unvollendeten Naturwissenschaftlers.
Das Theater Comédie Soleil brachte diese als Lustspiel getarnte Parabel vor ausverkauftem Hause in leichter Strichfassung für sieben Darsteller zur Premiere. Kein Geringerer als der sonstens kantianisierende König Peter (Detlef Brand) hat auch das schlichte Bühnenbild erdacht, geraffte weiße Stores vor schwarzem Grund, ein imitierter Steinquader, von dem sich der lederbejackte Flüchtling Leonce (Markus Wechsler) nach dem Kuss von Lena (Nadja Winter) in die Tiefe stürzen will, zwei Lampen unterschiedlicher Farbe, ein Zäunchen zur Abgrenzung für die Musik, vom argentinischen Tango-Profi Roberto Russo auf dem Bandoneon gegeben, das war''s eigentlich schon.
Literaturwissenschaftler sagen Büchner in diesem schönen, aber recht garstigen Stück ein „Shakespearisieren“ nach, was trotz des an die Hamlet-Ophelia-Szene erinnernden Pendants zwischen der Tänzerin Rosetta (Corinna Wiedenmann, sie spielte auch Lenas Gouvernante) und Leonce genauso übertrieben sein dürfte wie Soleils Behauptung, mit dieser nicht immer schlüssigen Szenenfolge ein „Jahrhundertwerk“ präsentieren zu können. Michael Klemms detailarme Inszenierung folgt auf hohem Sprachniveau zwar Büchners Text, weniger aber dessen Stück-Dramaturgie, was das Verständnis der finalen Hochzeit zwischen Leonce und Lena „in effigie“ erschwert: Hier sind die „alten Lateiner“ gefragt! Der wie ein Gaukler wirkende Valerio (starke Figur von Michael Klemm) präsentiert dem mehr denkenden als handelnden Peter zwei maskierte Automaten, und sie werden letztlich nur getraut, um das königliche Wort einzulösen. Dass sie Leonce und Lena heißen, scheint nicht einmal er zu wissen. Ist der Weg von Popo bis Pipi denn so lang? Überhaupt hätte es sich gelohnt, neben den gut präsentierten Autoren-Sentenzen zur Welt auch die Figuren mehr zu ventilieren. Gute, auch heitere Stücke leben vom Widerspruch, der sichtbar gemacht werden muss, aber wer hatte einen Konflikt darzustellen – der zynische Deklamator Leonce, die allein sphärische Lena, beide in ihrem Verhältnis?
Selten beförderten die inszenierten Bilder der Protagonisten märchenhafte Wege. Situationen werden gesetzt, Figuren oft nur behauptet. Romeo Riemer als Präsident war als echter Mit-Spieler eine Bereicherung des 90-minütigen Abends, zum Ausgleich hatte Zeremonienmeister und Trommler Christian Uibel gar kein Profil. Stand nun das titelgebende Paar im Zentrum des (einem Preisausschreiben geschuldeten) Stückes oder Valerio, der große Impresario? Zieht er die Fäden, so müsste das kräftiger und von Beginn an geschehen, das letzte Wort gehört ja ihm: Unter der Herrschaft von Leonce und Lena werde Handarbeit schwerstens bestraft, dafür klassische Leiber, musikalische Kehlen, eine kommode Religion. Triumph des Müßiggangs also. Warum nur ist diese Sentenz nicht wie ein Fegefeuer übers Publikum gekommen! Schön war''s irgendwie trotzdem, in effigie reichlich. Gerold Paul
Nächste Vorstellungen Donnerstag bis Sonnabend 20 Uhr, Sonntag 17 Uhr
Gerold Paul
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