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Kultur: Beklemmende Intensität

Brandenburgische Sommerkonzerte im St. Paul-Kloster in Brandenburg

Stand:

Der einstige Altarraum des gerade fertig sanierten Dominikanerklosters St. Pauli in Brandenburg/H. wirkt asketisch: gewaltige, schwarz verhüllte Podeste, auf die Treppen führen, dazu eine ebenfalls hohe, weit ins Kirchenschiff vorgezogene Spielfläche. Dämmerlicht eines sich neigenden (Sonn-)Tages.

Der rechte Ort zur inneren Sammlung. An ihn haben die Brandenburgischen Sommerkonzerte zur Erstaufführung der szenischen Liturgie „Der versiegelte Engel“ nach Nikolai Leskow von Rodion Schtschedrin (geb. 1932) geladen, die in der Urversion für einen Tänzer, Flöte und Chor vorgezeigt wird. Das Werk entstand 1988 anlässlich der Tausendjahrfeier der Christianisierung Russlands und erhielt seinen Titel nach einer beliebten Erzählung des russischen Realisten. Damit war in die sozialistisch-sowjetische Kulturpolitik listig eine kleine Bresche geschlagen.

Doch zurück ins Hier und Heute. Der langsam nach vorn schreitende Flötist (Gergely Bodoky) lässt sich am vorderen Rand des Spielpodests nieder, bläst mit geschmeidigem und großem Ton sehnsuchtsvolle Klänge gleich einem Debussyschen Faun. Wie aus weiter Ferne ertönen gesummte Vokalisen. Weihrauchklänge, wie man sie aus der russisch-orthodoxen Kirche kennt, durchziehen das Kirchenschiff. Sie werden unter Leitung von Stefan Parkman in altbewährter Vorzüglichkeit vom Rundfunkchor Berlin angestimmt, der langsam die Szene füllt. Später stellt er sich in wechselnden Gruppierungen auf. Der Klang wird tatsächlich schrittweise offener, heller und kraftvoller, bleibt warm getönt und von funkelnder, reich schattierter Farbigkeit.

Fast unmerklich versteht man Text, ist von außergewöhnlich orgelnden Bässen hörbar überrascht und taucht in eine seelenberührende Klangwelt ein, die in der Spätromantik von Sergei Rachmaninow (speziell seiner Vespermessen) ihr Vorbild gefunden hat. Das neunteilige Werk besteht aus drei mal drei Sätzen, die um ein längeres Flötensolo herum gruppiert sind. Selbst der Einleitungskomplex ist dreigeteilt, erinnernd an die dreiteilige Eröffnungsformel der katholischen Messe mit Kyrie eleison- Christe eleison – Kyrie eleison.

Die Grundstimmung ist zumeist elegisch, von Seufzermelodik durchdrungen und wird, wenn von Mammonsucht und anderen Sünden die Rede geht, durch bewegtere bis leidenschaftlich erregte Abschnitten unterbrochen. Drei (!) Chorsolisten übernehmen dabei die Funktion von Vorsängern. Im „Gebet“ sorgen zwei Knabenstimmen (vom Knabenchor Hannover) für erbauliche Stimmungen.

Dann weitet sich die Musik durchs Visuelle, indem vorm hinteren Glasfenster der (nur slipbekleidete) Engel in Gestalt des Ausdruckstänzers (und Choreographen) Lars Scheibner herabschwebt. Einem athletischen Akrobaten gleich zuckt und windet er sich auf dem Boden, richtet sich immer wieder auf und fällt, führt in pantomimischen Bewegungen die gepeinigte Kreatur mit beklemmender Intensität vor. Die (Chor-)Menge führt das (Engel-)Individuum gleichsam vor, saugt es auf, sucht ihn sich abhängig zu machen. Es misslingt. Der Engel entschwebt wieder, während die Klänge an den Anfang zurückkehren. Anhaltender Beifall Peter Buske

Nächstes Sommerkonzert am 8. Juli, 17 Uhr, im Schlosstheater im Neuen Palais, Musiik am preußischen Hof

Peter Buske

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