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Von Jan Kixmüller: Berlinale? Nein, Babelsberg!

Das Studentenfilmfestival Sehsüchte startet heute Abend im Babelsberger Thalia-Kino

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Wohnheime. Wir sehen Wohnheime, eins davon im frühsommerlichen Finnland, eine alte Fabrik, in der nun Asylbewerber untergebracht sind. Viele tausende Kilometer sind sie bis dort gereist, um unweit des Polarkreises zum ersten Mal Schnee zu sehen, um hier mehr oder weniger an einer Endstation in ihrem Leben angekommen zu sein, ohne zu wissen, wie es weitergeht. Morgan ist ein junger Mann aus Afrika, er steht auf dem Dach des Asylbewerberheims und fragt sich, warum man die Menschen, die hier Zuflucht gesucht haben, ohne Sinn und Perspektive vor sich hin vegetieren lässt. „Wir existieren nur, wie unsichtbare Geister“, sagt er. Eigentlich hat er sich auf den Schnee gefreut, in seiner Heimat sage man, Schneeflocken seien gefrorene Blumen aus dem Himmel. Am Ende sieht man, wie Federn über das Dach fliegen. Er wird hier bleiben, bis im Winter der echte Schnee kommt. Wenn man ihn bis dahin nicht abgeschoben hat.

Das andere Wohnheim steht irgendwo in Srebrenica, die Familien werden von Soldaten aus den Wohnungen getrieben, mit roher Gewalt, Pogromstimmung, die Frauen tragen Kopftücher, sie versuchen ihre Kinder bei sich zu behalten, verzweifelte Schreie.

Ein junger Soldat erinnert sich, wir hören sein Stimme aus dem Off. Vor dem Gebäude war eine Wäscheleine gespannt worden, 1,50 Meter hoch, wer durchgehen konnte, blieb am Leben, die anderen wurden erschossen. Er habe gar nicht verstanden, wie es so weit kommen konnte. Vor dem Krieg hatte er sich nur für Autos und Sport interessiert, dann musste er über Leben und Tod seiner Nachbarn entscheiden, musste den Bruder seiner ersten Freundin erschießen. „Plötzlich zählte nur noch, wer Serbe, Kroate oder Muslim war“, erinnert er sich. Und dass er geschossen hat, immer wieder, dass er immer noch schießt, in seinen Träumen, die ihn jede Nacht aus dem Schlaf reißen.

Zwei Filme der diesjährigen Sehsüchte, die nicht konträrer sein könnten. Aber doch kreisen sie um ein ähnliches Thema, die einen sind vertrieben, die anderen wurden vertrieben. Wer wo auf dieser Erde Zuhause ist oder sein darf, das fragen der polnische Film „Grobari“ („Totengräber“) von Bartek Cirlica vor dem Hintergrund des Massakers von Srebrenica und der finnische Streifen „Ghosts“ („Geister“) von Jan Ijäs anhand des ungewissen Schicksals der Asylbewerber.

Heute Abend startet das 38. Internationale Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ (21.-26. April) mit 157 Filmen aus 30 Ländern im Thalia-Kino. Erstmals wurden für die Jurys bereits 59 Filme vorab ausgewählt. Hier nähert sich das größte europäische Studentenfilmfest mit der weltweit höchst dotierten Preissumme – insgesamt 47 800 Euro – seinen professionellen Vorbildern an.

Im Festival-Trailer, der vorab in den Kinos lief, sehen wir die beiden bekannten deutschen Nachwuchstalente Nora Tschirner und Florian Lukas, wie sie am Potsdamer Platz in einer Limousine vorfahren. Berlinale? Nein das ist doch dieses andere Festival, da wollte sie gar nicht hin. Das nächste Mal nehmen sie wieder die S-Bahn – nach Babelsberg! Den nötigen Humor haben die Studenten der Potsdamer Filmhochschule, das nötige Selbstvertrauen auch. Und auch wenn die Zahl nur zusammen mit Partygästen zustande kommt: bis Sonntag erwarten die Sehsüchte wieder bis zu 10 000 Besucher.

Heute Abend Eröffnung, ab 22 Uhr Party für alle an der HFF, Marlene-Dietrich-Allee 11. Erster Filmblock am Mittwoch 14 Uhr im Thalia 1, schon um 11 Uhr gibt es einen Kinderfilmblock, der Eintritt ist frei, Anmeldung: www.sehsuechte.de. „Grobari“ läuft am Do, 22 Uhr, im Thalia 1, „Ghosts“ am Sa, 13 Uhr, im Thalia 2.

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