Kultur: Besser vor als auf der Bühne
Sebastian Stolz ist neuer Dramaturg am Jungen Theater / Heute ist Premiere zwei „seiner“ Stücke
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Der Liebeskummer trieb ihn in die Arme des Theaters. „Ich war damals 16 und dachte, jetzt machst du etwas ganz Verrücktes, um die Lücke zu füllen.“ Und Sebastian Stolz fuhr von Gera-Langenberg nach Gera und fragte an der Theaterkasse nach Arbeit als Schauspieler. Dort gab man ihm tatsächlich die Telefonnummer von der Leiterin des Jugendtheaters und wenig später stand der unbedarfte junge Mann als russischer Mönch mit schönstem thüringischen Akzent in dem Stück „Nach Hause“ auf der Bühne. Es blieb nicht bei der einen Rolle, obwohl er nebenbei an der Fachhochschule Wirtschaft studierte. „Was nicht umsonst war, so kann ich wenigstens meine Steuererklärung allein machen.“
Doch das Theaterblut blieb in Wallung und auch als sich das Jugendtheater zur theaterpädagogischen Fabrik nach holländischem Modell mauserte, hielt der aufgeschlossene junge Mann munter zur Stange: nunmehr auch als Stückeschreiber und Regisseur und nach seinem Zivildienst als Theaterpädagoge.
Seit Anfang der Spielzeit ist Sebastian Stolz, inzwischen 27, Dramaturg am Hans Otto Theater und kümmert sich an der Seite von Andreas Steudtner um das hiesige Junge Theater. Der Tausendsassa passt nicht so recht in das landläufige Bild eines Dramaturgen, der sich besessen durch dicke Bücherberge frisst. Aber zu seinem Alltag in der Plattenwohnung in Potsdam-West gehören durchaus auch intensive Lesestunden auf der Suche nach knackigen, jugendgemäßen Stoffen. Die beiden derzeit von ihm betreuten Stücke sind allerdings noch keine eigenen Entdeckungen. „Ich kam erst, als das Konzept und der Spielplan für diese Saison schon feststanden.“ Doch wenn er von dem Doppelprojekt erzählt, das heute in der Reithalle A Premiere hat, spürt man durchaus seinen Enthusiasmus.
In „Hikikomori“ geht es um die Rebellion der Stille, um einen jungen Mann, der sich seit acht Jahren in seinem Zimmer verbarrikadiert. Das Internet ist der einzige Kontakt zur Außenwelt. „Die Gründe, warum er sich dem Leben verweigert, sind nur angedeutet. Aber wenn man gut hinhört, kann man ahnen, dass das Überbesorgtsein und der Leistungsanspruch der Mutter mit dahinter stecken. Am Ende tritt der Sohn in den Hungerstreik und wenn er sagt: ,Jetzt ist es still“, ahnt man den Freitod.“ Es gebe bei dieser Form des Sich-Abschottens durchaus Parallelen zu Amokläufern, die auch keinen Platz in der Gesellschaft finden. „Der eine explodiert, der andere implodiert. Wie in unserem Stück, in dem es nicht um Mitleid, sondern um Verständnis geht.“ Während sich der junge Mann ganz bewusst seinen Platz am Computer sucht, aktiv beschließt, kein Gegenstand mehr zu sein, den man hin und her schiebt, wird Belinda in dem zweiten Stück „Wie es so läuft“ zu einem solchen Gegenstand. Ohne, dass sie etwas dagegen tun kann. „Ihr Leben wird durch das abgekartete Spiel zweier Männer bestimmt. Und sie muss es passiv hinnehmen.“ Eine Dreiecksgeschichte ohne Happyend in einer Welt der verdeckten Brutalität.
Für „Hikikomori“ konnte Sebastian Stolz noch eine weitere künstlerische Seite in sich anschlagen und eine kleine Filmsequenz beisteuern. Denn bevor er nach Potsdam kam, war er als Filmemacher unterwegs und auch schon mal vor zwei Jahren mit Videoclips „Im falschen Film“ am hiesigen Haus zu Gast. Hauptsächlich verbrachte er die vergangenen vier Jahre aber in Polen: der Liebe folgend. Mit einen Studium an der Filmhochschule Lodz klappte es allerdings nicht, obwohl er bereits einige filmische Arbeiten vorweisen konnte, die auch in zwei Kinos liefen. „Aber ich wusste wohl zu genau, was ich wollte und ließ mir nicht mehr reinreden. So wurde ich als nicht mehr lenkbar abgelehnt. Das hat mich schon sehr getroffen,“ zumal er sich das ganze Handwerk von der Kameraführung bis zur Regie allein angeeignet hat.
Ansonsten fühlte er sich in Polen aber pudelwohl, „es erinnerte mich an meine Kindheit. Ich war zwar zu jung, um die DDR zu verstehen, aber zu alt, um sie zu vergessen. Und diese Mentalität des Ostens empfand ich als große Freiheit. In Lodz kann man noch mit Buntfilm schwarz-weiß drehen. Jetzt fängt man allerdings an, auch dort alles schön zu machen. Schade.“ Der Thüringer fühlt sich mehr vom Verbrauchten angesprochen - wie sein künstlerisches Vorbild David Lynch.
Und so hat er auch keine Probleme mit seiner noch unsanierten Potsdamer Neubauwohnung, in die er im vergangenen Herbst zog. Viel mehr kennt er von der Stadt auch noch nicht. „Jetzt heißt es erstmal, alle Kraft und Zeit ins Junge Theater zu stecken.“
Dazu gehörte auch, an die Potsdamer Hochschulen persönlich vorbei zu gehen, um Studenten für das Theater aufzuschließen. Inzwischen stehen einige von ihnen in der Improvisationsreihe „Freistil“ als Laiendarsteller auf der Bühne - so wie Sebastian Stolz einst begann. Und sie kommen auch verstärkt als Zuschauer in die Schiffbauergasse.
Er selbst hat mit der Schauspielerei längst abgeschlossen. „Es tat mir nicht gut. Ich habe mich in die Rollen reingeworfen und sie ein bisschen zu sehr mitgelebt. Alles machte ich nur wild aus dem Gefühl heraus, ohne dass es mit Handwerk unterfüttert war.“ Da genieße er es mehr, zu sehen, wie ein Stück entsteht. Und wenn er seine eigenen Gedanken mit einbringen kann, wie jetzt als Dramaturg, könnte das auch einem Allrounder wie ihm, erst einmal genug Futter sein. Bis vielleicht eine neue Liebe frohlockt.
Premieren heute 19 Uhr: „Wie es so läuft“; 21.30 Uhr: „Hikikomori“, Reithalle A, Schiffbauergasse
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