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Kultur: Betrunken vom ersten Kuss

Der DEFA-Film „... verdammt, ich bin erwachsen“ zog vor allem Ältere ins Kino

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Der DEFA-Film „... verdammt, ich bin erwachsen“ zog vor allem Ältere ins Kino Von Marion Hartig Kurbel ist 15, ziemlich groß und schlaksig, trägt 70er Jahre Hemden und einen beatlesmäßigen, mittellangen Haarschnitt. Und auch sonst steht er für das, wofür ein Jugendlicher gemeinhin so steht. Betrunken von seinem ersten Kuss und Bier torkelt er durch sein Heimatdorf in der Lausitz, kämpft für das Gerechte, fühlt sich wie Cinderella von aller Welt missverstanden und träumt von einer besseren Welt. Kurbel (überzeugend gespielt von Ralf Schlösser) ist ein typischer 15-Jähriger und „... verdammt, ich bin erwachsen“ ein typischer DEFA-Film für und über Jugendliche. Seine Haare hingen ihm beim Dreh, Mitte der 70er Jahre, bis auf die Schultern, erzählt der Regisseur Rolf Losansky am Dienstagabend bei der Präsentation seines Streifens im Filmmuseum. Heute trägt er es ordentlich kurz geschnitten. Den Film sieht er sich noch immer gern an. Erwachsenwerden ist ein ewig aktuelles Thema, sagt er. Die Mediendiskussion der letzten Wochen, die Titelthemen der Zeitschrift Focus und Zitty sind Lichtjahre entfernt: Erwachsenwerden ist heute nicht mehr das, was es früher war, schreiben die Blätter und drehen sich in ihren Artikeln nicht um das „normale“, das sowieso irgendwann kommende Erwachsenwerden, um das es im Film geht, sondern darum, dass Erwachsensein heute out ist und die verspielten Um-die-Dreißiger keine Lust auf Kontinuität, Ernst und Spießigkeit haben. Kein Wunder, dass in einer solchen Zeit Filme über fast erwachsene Mädchen und Jungs wie „Fickende Fische“ von Almut Getto oder „Das weiße Rauschen“ von Hans Weingartner Jugendliche und Möchtegernjugendliche in die Kinos ziehen. Der DEFA-Film von 1974 allerdings lockt an diesem Abend hauptsächlich älteres Publikum an. Und Erwachsenwerden, Jugend heute und Jugend in den DDR-70ern wird auch nicht mehr thematisiert. Das Gespräch nach dem Film kreist vielmehr um die Filmgeschichte und die Entstehung des Streifens. „... verdammt, ich bin erwachsen“ war kein leichter Film. Mit kühnen, zum Teil nicht gerade staatstreuen Sätzen, in den Mund von sehnsüchtigen, nach Freiheit suchenden Jugendlichen gelegt, eckte der Film an, berichtet der Regisseur. Bei der Studioabnahme gab es Gegner. Lange diskutierten die Zensoren über die Rolle des Macho-Direktors, der den Schülerversteher „Lehrer Konzak“ wegen einer nicht genehmigten Schulversammlung zur Schnecke macht. Und auch die frechen FDJ-Vertreter sollten nach Ansicht der Kritiker besser aus dem Film verschwinden. Nach der Romanvorlage „Der Riese im Paradies“ von Joachim Novotny hat Rolf Losansky den Streifen um Kurbel gedreht, aber nicht eins zu eins. Er veränderte leicht und machte „schärfer“. Der Held im Film ist drei Jahre älter als der im Buch, manche Sprüche diktierte er den Schülern der 9a spontan während der Filmarbeiten auf die Lippen. Der Regisseur übernahm das Faschingsfest, auf das die Filmemacher im Sommer beim Kindercasting in Ferch stießen und das im eigenen Elternhaus gehörte „Du bist hier zuhause und ich putze hier“, den Kurbels gefrustete Mutter dem Vater entgegenwirft. Kleine Momente von DDR-Alltag flammen im Film auf, der Appell auf dem Schulhof, der autoritäre Staatssekretär, die FDJler in blauen Hemden. Sie sind atmosphärische Beigabe für eine warm erzählte Geschichte. „... verdammt, ich bin erwachsen“ ist Zeitdokument aus den 70ern und schon deshalb – die Kleidung und die Frisuren machen Spaß - unterhaltend und interessant. Nur dass die Geschichte aus heutiger Sicht dann doch etwas zu simpel gestrickt ist: Der geläuterte Jugendliche erkennt, dass Erwachsensein ganz schön schwer sein kann und dass es im Leben auf Mut, Ehrlichkeit und Freunde ankommt. Mit einer solchen Story dürfte man Anfang des 21. Jahrhunderts Jugendliche wohl kaum vor den Bildschirm, geschweige denn ins Kino bekommen.

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