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Kultur: Bewährtes ein wenig neu

Serdar Somuncu und Band in der Waschhaus-Arena

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Serdar Somuncu will nicht mehr den Hassprediger spielen. Der Kabarettist hat genug von seiner bekanntesten Rolle. Stattdessen steht er am Freitagabend in der Waschhaus-Arena mit Band auf der Bühne, spielt E-Gitarre und singt. Und freut sich, wie er zur Begrüßung sagt, schon diebisch über die enttäuschten Assis im Publikum, die jetzt zähneknirschend ihr Eintrittsgeld absitzen würden. Viele werden das nicht gewesen sein. Die Stimmung im ausverkauften Saal war großartig, die Musik recht gut und der Sound perfekt. Am Ende gibt es Dauerapplaus. Nicht zuletzt, weil Somuncu mit seinem neuen Programm „Sexy Revolution“, auch in der Pose des Rockstars, auf bewährte Stilmittel setzt und wieder herumbrüllt, alles und jeden beleidigt, sich in Wutreden hineinsteigert und seinem Image des Radikal-Kabarettisten und Provokateurs vollends gerecht wird.

Dass Serdar Somuncu auch als Musiker überzeugt, hat der studierte Schlagzeuger ja bereits 2011 mit seinem ersten Album „Dafür kommt man in den Knast“ und seinem im letzten Jahr erschienenen HipHop-Album „Wir beide“ gezeigt. Zusammen mit seiner Band The Politics, bestehend aus Martin Ziaja (Bass), Moritz Stahl (Gitarre), Patrick Fa (Drums) und Jesse Millener (E-Piano), präsentiert er an diesem Abend eine Mischung aus Funk, Bluesrock und Hip-Hop, garniert mit kurzen Abstechern in die Gefilde des Death Metals oder schmalzigen Schlagers. Dabei sind die Lieder keinesfalls hilflos eingestreute Pausenfüller, sondern meist thematische Ergänzungen oder Überleitungen im bitterböse funkelnden Reigen der Stand-Up-Comedy/Kabarett-Segmente.

Wühlt sich Somuncu eben noch durch einen Wald pornografischen Vokabulars, so singt er im nächsten Moment schon „Sushi Muschi“, ein textlich extraplattes Stück über seine Freundin, die nie zum Orgasmus kommt. An anderer Stelle folgt seinem Lied über Hitler, der aus dem Jenseits zu einem onanierenden Neonazi spricht, Somuncus ungespielte Verärgerung über das Buch des Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky „Neukölln ist überall“, denn dann sei ja auch Zwickau überall. Gleich kommt er wieder in Fahrt, regt er sich darüber auf, dass niemals gemeinsam Verantwortung übernommen, sondern die Schuld immer nur einer Seite zugewiesen würde. Und wieso, fragt sich der 45-Jährige unter wieder einsetzendem Gelächter des Publikums, ergreife eigentlich nie eine Minderheit Partei für die anderen, die Türken für die Schwulen etwa. Schließlich sähen doch viele Türken aus wie Conchita Wurst. Wie üblich bei Somuncu bleibt niemand, kein „Kanake oder Bimbo“, kein „Vollhonk, Veganer oder yogabekloppter Hipster“, von seinen, teils im übelsten Gossenslang hervorgestoßenen Beschimpfungen verschont. Und immer wieder, so auch, als Somuncu einen bettelnden, Akkordeon spielenden Rumänen imitiert, um im nächsten Moment deutsche Unternehmer, die in den Ostblockländern zu Niedriglöhnen produzieren lassen, als wahre Sozialschmarotzer anzuklagen, stellen die Gäste fest, dass es ihre Vorurteile sind, die sie eben noch zum herzhaften Gegacker verleitet haben.

Auch musikalisch versteht es Serdar Somuncu nach wie vor perfekt, sein Publikum mit drastischen Provokationen zu unterhalten und zugleich zur Selbstreflexion zu zwingen. Freilich, der Hassprediger ist tot. Doch als sich der Kabarettist schließlich nach zwei Stunden ausgiebig preisen lässt und in ekstatischer Verzückung durch den Saal rennt, derweil die Band dazu eine Art Gospelsong spielt, weiß man, dass er als Heiliger Geist zurückgekehrt ist. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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