Kultur: Bienenfleißige Auseinandersetzungen Abschlusskonzert der Bachtage im Nikolaisaal
Nicht auszudenken, „Wenn Bach Bienen gezüchtet hätte“. Keine h-Moll-Messe, kein Musikalisches Opfer, keine Kunst der Fuge, kein Weihnachtsoratorium ?
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Nicht auszudenken, „Wenn Bach Bienen gezüchtet hätte“. Keine h-Moll-Messe, kein Musikalisches Opfer, keine Kunst der Fuge, kein Weihnachtsoratorium ? Doch die gleichnamige Komposition des estnischen Komponisten Arvo Pärt (geb. 1935) gleicht eher einer witzigen Hommage auf den großen Tonsetzer als ernst zunehmender Tiefenforschung. Und so ist des Summens und Schwirrens in Noten kein Ende, wenn die pollensammelnden Insekten in barockisierendem Tonfall der hypothetischen Komponistenfrage nachgehen. Das neunminütige Stück sprüht vor Witz, den das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt unter Leitung des 26-jährigen lettischen Dirigenten Andris Nelsons bei seinem Auftritt im Nikolaisaal genüsslich auskostet. Mit diesem Konzert eröffnet das Musenhaus seine sinfonische Saison, gleichzeitig beenden die Potsdamer Bachtage damit ihre diesjährigen Offerten für den Umgang mit den Werken des Meisters in heutiger Zeit. Im Programmheft des Nikolaisaals findet sich kein Verweis auf diese Kooperation. Warum eigentlich nicht? So obliegt es Björn O. Wiede, Nikolaikantor und künstlerischer Leiter der Bachtage, das zahlreich erschienene Publikum auf diesen Sachverhalt hinzuweisen. Das nimmt dankbar an und auf, was Bach und dessen Verehrer ihnen zu verkünden haben. Es sind Originalkompositionen, Klaviertranskriptionen (Franz Liszt) und Orchesterbearbeitungen (Anton Webern, Sir Edward Elgar). Bienenfleißig tastatiert die aus einer lettischen Musikerfamilie stammende Lauma Skride den Klavierpart in Pärts Stück als eine wichtige Orchesterstimme. Dabei untermalt ihr Tastenstaccato die sehr effektvoll geschilderte Invasion des stechlustigen Volkes, die schließlich in Ermattung endet. Klangfarbenreich wird das originelle Werk mit seinem barocknahen Tonsatz ausgeleuchtet. In Bachs d-Moll-Klavierkonzert BWV 1052 dient ihr der klangvoluminöse Konzertflügel zu einer überaus romantisch geprägten Lesart – wie sie vor vierzig Jahren gang und gäbe war. Barocke Prägnanz, klare Artikulation, gestochene Phrasierung und klangliche Transparenz darf man sich bei dieser weichzeichnenden Lesart nicht erwarten. Schier atemlos eilt sie durch die Ecksätze. Dennoch findet sie dabei Zeit für übermäßigen Rubato-Gebrauch. Das Adagio singt sie intensiv und innig. Federnd und elegant wird sie von den Streichern begleitet. Liszts Transkription von Bachs Präludium und Fuge a-Moll BWV 543 führt sie anfangs versonnen und gradlinig, dann kraftdonnernd im vollgriffigen Klaviersatz vor. Die Virtuosin wird begeistert gefeiert. Vom Geiste Bachs erfüllt zeigt sich das von unaufhörlichem Fließen geprägte weitere Pärt-Stück „Summa“ und die introvertierte Streichermusik „Musica dolorosa“ des lettischen Komponisten Peteris Vasks (geb. 1946). Klangschön, geschmeidig und expressiv werden sowohl das Lamento als auch der schmerzvoll-dramatische Mittelteil gespielt. Dabei gleicht der Dirigent mit geschmeidigen Gesten und tänzerischer Beinarbeit einem Schlangenbeschwörer. Der opulent ausschweifenden Elgarschen Orchesterbearbeitung von Bachs Fantasie und Fuge c-Moll BWV 537 entspricht solche choreographierte Podiumsarbeit. Das Orchester klingt dabei wie eine große romantische Orgel, wenn er die jeweiligen „Register“ zieht. Apart und strukturerhellend tönt der Klangapparat, als es gilt, Bachs sechsstimmiges Ricercar aus dem „Musikalischen Opfer“ in der von mathematischem Spürsinn geprägten Orchesterfassung Weberns spannungsreich wiederzugeben. Weichgetönt erklingt sie. Mit diesem erfolgreich absolvierten Dirigat dürfte Andris Nelsons zu den Kandidaten in Nachfolge von GMD Heribert Beissel gehören, der seine letzte Spielzeit mit dem Staatsorchester absolviert. Peter Buske
Peter Buske
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