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Kultur: Bilder, die nicht verstummen

Barbara Raetsch bei der Vorbereitung einer Retrospektive für Karl Raetsch

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Barbara Raetsch bei der Vorbereitung einer Retrospektive für Karl Raetsch Von Heidi Jäger „Gut, dass er die meisten Bilder noch selbst mit ausgesucht hat, obwohl er wusste, dass er die von ihm erhoffte Ausstellung nicht mehr erleben würde.“ Barbara Raetsch steht vor einem Riesen-Bilderberg. Sie ist eingebunden in die schwierige Aufgabe, das umfangreiche Werk ihres Mannes Karl Raetsch zu präsentieren. Rund 500 Ölgemälde, 1000 Aquarelle, viele, viele Holzschnitte und ganze Schränke voll mit Zeichnungen gehören zum Nachlass des im Mai 2004 verstorbenen Künstlers, dessen kritische Stimme die Entwicklung der Stadt stets begleitete. Eine Retrospektive im Alten Rathaus soll nun anlässlich des 75. Geburtstages an das realistische Kraftpaket und den poetischen Fabulierer erinnern. „Jedes Jahrzehnt war von bestimmten Erlebnissen geprägt, die seine Malerei beeinflussten“, taucht Barbara Raetsch in die Erinnerung ein: „In den 60ern entstanden wunderbare kleine Straßenbilder: von der Heilig-Geist-Straße, der Meistersingerstraße, der Charlottenstraße ...“ Aber auch der Mensch findet darin Platz, stimmungsvoll gezeichnet in seinem sozialen Milieu. Als in den 70er Jahren die Breite Straße abgerissen wurde, ließ das auch Karl Raetsch nicht kalt. Er hielt fest, was die Baggerzähne wegfraßen, wie das historische Stadtbild kurzerhand in ein sozialistisches umgekrempelt wurde. Neben Landschaften, Märcheninterpretationen und immer wieder aufrüttelnden, wirklichkeitsnahen Porträts nahm Karl Raetsch in den 80ern vor allem das Militär ins Visier: ein abgewrackter Panzer, ein Manöverunfall Und dazwischen ein Knabe mit Messer – Aggressionen von Kindern, die offiziell gern unter den Tisch gekehrt wurden. Raetschs Sprache war direkt, ließ sich nicht vom sozialistischen Realismus dirigieren. Dann kamen die 90er – und das seine letzten Lebensjahre immer wieder aufreibende Thema der Kapelle auf Hermannswerder. Mühevoll baute das Malerehepaar Ende der 70er das halb zerfallene architektonische Kleinod zu Atelier und Galerie um. Doch die Idylle erwies sich als trügerisch. Die ersehnte Ruhe wollte sich nicht einstellen. Stattdessen nach der Wende nervenaufreibende Auseinandersetzungen vor den verschiedensten Gerichten – die erst jetzt, nach dem Tod von Karl Raetsch, beigelegt scheinen. Seinen Frust über das kleinkarierte Paragrafen-Gezänk ließ der Maler „lautstark“ auf der Leinwand ab. In drastischen Bildern karikierte er Beamte als Füchse, zeigte die Justizverwalter als gesichtslose Aktenträger. „Mein Mann hat nie ein Blatt vor den Mund genommen, nie geheuchelt. Auf der Leinwand machte er seinem Ärger Luft. Gesprochen hat er über sein Innenleben indes kaum.“ Über 40 Jahre lebten die beiden zusammen, wurden schließlich Kollegen, als Barbara Raetsch autodidaktisch ebenfalls an die Staffelei trat. Mit Erfolg. „Wir haben viel über unsere Bilder diskutiert. Die Auseinandersetzung mit ihm fehlt mir sehr. In dem ich aber mit seinen Bildern umgehe, ist ein Stück von ihm da, kann ich auch seinen Tod besser verarbeiten“, sagt Barbara Raetsch. Den größten Durchhänger habe sie erst in diesem Jahr gespürt. „Vorher hat die Arbeit viel weggedrückt. Eine Woche nach dem Tod meines Mannes habe ich gemeinsam mit unserem Sohn Robert die traditionelle Frühjahrsausstellung in der Kapelle eröffnet. Das war auch mit Karl so besprochen. Wir hatten Angst, dass man vergessen wird, wenn man aussetzt. Diese Ausstellungsvorbereitung ging sehr an meine Kräfte, da ich auch täglich meinen Mann im Hospiz in Lehnin besuchte. Dort verbrachte er seine letzten Wochen in einer sehr friedlichen Umgebung. Zur Vernissage haben wir alle auf Karl angestoßen und bei uns gedacht: Er ist trotzdem hier. Es ist ein schöner Gedanke: Da sind seine Bilder, also ist auch er dabei.“ Nie sei ihr Mann, der ab Juni 2002 wöchentlich ins Krankenhaus zur Chemotherapie musste, über seine Krankheit verzweifelt. „Er hat es hingenommen. Nur einmal sagte er zu unserem Sohn: ,Wann hört dieses Elend endlich auf?“ Und so wie er lebte, ist er auch gestorben: ohne ein Wort der Klage.“ In den letzten fünf Jahren hat Karl Raetsch überwiegend aquarelliert, hin und wieder, wenn die Kraft noch reichte, auch gemalt. „Seine Aquarelle sind immer besser geworden, ätherischer. Sie entfernten sich zunehmend vom Realismus, waren fast jenseits der Welt.“ Barbara Raetsch wird nachdenklich. Immer wieder bewegt sie die Frage: Was wird künftig aus dem Nachlass meines Mannes? „Es ist zwar gut, dass er hier auf Hermannswerder sicher ist, aber es ist ja nicht der Sinn von Malerei, im Depot zu verkümmern.“ Und die Gefahr besteht natürlich in Potsdam, wo es an einer ständigen Ausstellung mit Malern der Region fehlt. Etwa 20 Ölgemälde gehen jetzt als Schenkung nach Fürstenwalde, in die Stadt, in der Karl Raetsch aufgewachsen ist und wiederholt ausstellte. Wie auch zu seinem 75. Geburtstag, den er am 1. Oktober begehen würde. „Auch diese Idee ist noch mit meinem Mann gemeinsam entstanden.“ Wenn die Ausstellung im Alten Rathaus ab 7. August erst einmal hängt, wird sich Barbara Raetsch wieder mehr um die eigene Arbeit kümmern. „Im Herbst zeige ich noch einmal meine Fassaden. Dann ist zu diesem Thema nichts mehr zu sagen. Ab Frühjahr möchte ich dann etwas Neues ausprobieren, anderen Künstlern in unserer Kapelle ebenfalls Ausstellungsmöglichkeiten bieten.“ Zum Anfang sollen es junge Leute aus dem Raum Halle-Dresden sein, wo ihr Sohn Bruno seine künstlerische Heimat gefunden hat. Auch diese „Fremdsuche“ hätte sicher die Zustimmung von Karl Raetsch gefunden. Schließlich liebte auch er das Wagnis, neue Herausforderungen.

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