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Kultur: Bis auf den letzten Pling

Das Festival Intersonanzen ist Plattform für Komponisten und Interpreten der Neuen-Musik-Szene

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Über Neue Musik zu reden, während aus dem Café-Lautsprecher von oben leichte Popmusik tröpfelt, das fällt Michael Schenk schwer. Er beugt sich weit runter, nach vorn über den Tisch, als könne er sich unter den Schallwellen hinwegducken. „Unser Ohr wird bestraft, weil wir zu laut und zu einseitig hören“, sagt Schenk. Der 54-jährige Musiker und Musikpädagoge, der an der Babelsberger Filmhochschule unterrichtet, ist auch Vorsitzender des Brandenburgischen Vereins Neue Musik. Gemeinsam mit der Komponistin Susanne Stelzenbach hat er jetzt das 13. Festival „intersonanzen“ organisiert, das vom 13. bis 15. September in der „fabrik“ und an weiteren Orten in Potsdam stattfindet.

Drei Tage voller Musik – präsentiert von zumeist jungen Ensembles mit außergewöhnlichen Besetzungen und interessanten Konzepten. Ein Festival für die Nachfolger der Moderne, der Wagners und Schostakowitschs. Für Musik von Gegenwartskomponisten, die oftmals ihre Stücke den Musikern direkt auf den Leib oder für konkrete Anlässe schreiben. Auch dieses Jahr finden sich viele Uraufführungen im Programm.

So ein Festival sei mittlerweile fast die einzige Plattform für diese Musikform, glaubt Schenk. „In den 60er- und 70er-Jahren wurde das noch im Radio gespielt, da gab es noch Musikredakteure, die sich einem Bildungsauftrag verpflichtet fühlten“, sagt Schenk mit leichtem Verdruss. Heute sei Radio ein Mainstream-Instrument. Aber Schenk lenkt gleich wieder ein. Auch Mainstream gab es eigentlich schon immer. Strauß-Walzer, Romanzen von Brahms, auch das war Mainstream, Populärmusik für den Hausgebrauch. Auf der anderen Seite schrieb ein Franz Schubert die „Winterreise“, verkünstelte Lieder, in denen der Komponist sein künstlerisches, artifizielles Ego nach außen trägt. „Das macht ja auch ein Maler, ein Tänzer, ein Dichter“, sagt Schenk, „Dadaismus ist nichts anderes.“ Eine breite Kunstszene sei damals international und in Deutschland aktiv gewesen. „Bis die Nazis in den Dreißigern alles kaputttrampelten.“ Schenk sinkt zurück im Stuhl, als habe es ihn persönlich getroffen.

Der Pianist und Sänger ist nicht nur an der Organisation des Festivals beteiligt. Er tritt auch auf. Zur improvisierten Musik aus seiner Stimme, Cello und Elektronik-Equipment tanzen Kinder und Erwachsene, teils choreografiert, teils nach freien Assoziationen. Das ist neu in diesem Jahr: Es wird nicht nur einen Musikanteil geben, die Veranstalter holen neue Genres hinzu, Tanz und Videokunst.

In diesem Jahr sei der kammermusikalische Anteil Neuer Musik im Gesamtrepertoire relativ hoch. Grundsätzlich unterscheiden sich die Stücke jedoch immens, der eine komponiere alles aus „bis auf den letzten Pling“, der dann auch immer genau so und nicht anders klingen müsse – Schenk lässt effektvoll den Teelöffel in die Kaffeetasse gleiten. Der andere lasse viel Freiraum für Improvisation.

Dazu komme eine experimentelle Instrumentierung, akustische, elektronische Instrumente, Plattenspieler, Verzerrer, Kinderspielzeug, die menschliche Stimme. „Wir brauchen also ein Podium und wir brauchen gute Live- Interpreten.“ Manche, die noch nie mit Neuer Musik in Berührung gekommen sind, müssen erst lernen, sich darauf einzulassen, dass man mit dem Geigenbogen auch am Korpus des Instruments streichen oder in eine Tuba hineinrufen kann. „Da geht ja nichts kaputt“, sagt Schenk. Zum ersten Mal ist beispielsweise die Junge Philharmonie Brandenburg mit dabei, unter anderem mit Musik des Potsdamer Komponisten Gisbert Näther und der Berliner Komponistin Susanne Stelzenbach, einer namhaften Vertreterin der Neuen-Musik-Szene. Zum ersten Mal wird damit ein Sinfoniekonzert beim Festival aufgeführt. Schenk freut das sehr. „Viele Komponisten haben massenhaft Orchestermusik in den Schubladen – die spielt nur keiner.“

Das internationale Gastensemble kommt in diesem Jahr aus Israel, „Meitar“ sind für ihre Interpretationen zeitgenössischer israelischer Kammermusik international gefragt. Ganz anders die Musik des Berliner „e-Werk“: Das Quartett von E-Gitarristen aus dem Rock- und Orchesterbereich spielt Musik des preisgekrönten Berliner Komponisten Helmut Oehring. Vor allem müsse man diese Musik unbedingt live erleben, drängt der Festivalfan. „Das ist ähnlich wie bei der Rockmusik, das kann man sich nicht von der Platte anhören, das muss man sehen.“

Damit Sehen und Hören zusammenkommen, bietet Schenk einen Hörspaziergang an. „Hören ist ein Lernprozess“, sagt er, eine Frage der konzertierten Wahrnehmung. Er schaut ins Leere und sagt: „Jetzt höre ich das Lachen vom Nachbartisch, jetzt die Kaffeemaschine, und jetzt die Schritte der Frau, klack klack klack“.

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