
© A. Klaer
Kultur: Bis die Wände fallen
Zum Tag der offenen Ateliers am Sonntag lohnt ein Abstecher in das gruselig-fröhliche Kunsthaus 17
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Blutspritzer überziehen Fußböden und Wände. Auf Bildern sind Lungenflügel und blutunterlaufene Augäpfel zu sehen. Nebenan nehmen kleine Monster Aufstellung. Sind wir hier im Gruselkabinett des Doktor Caligari? Mitnichten. Vielmehr klingt alles nach dem Musikfilm „Der Kahn der fröhlichen Leute“.
Acht Künstler haben sich vor wenigen Monaten hier zusammengefunden, um in der seit sieben Jahren leer stehenden Immobilie auf dem Gelände der Heinrich-Mann-Allee zu malen, Musik zu machen oder sich in Ton- und Film-Collagen zu verewigen. Am kommenden Sonntag zum Tag der offenen Ateliers, an dem 46 Einzelateliers und Ateliergemeinschaften auf anregende Gespräche mit Besuchern hoffen, sollte der Weg unbedingt auch in dieses KunstHaus 17 führen. Ein staatliches Haus – über drei Etagen gefüllt mit Kunst aller Couleur.
Ausfindig gemacht hat es Christian Hannoschöck, ein Maler aus Düsseldorf, der seit 2010 in Potsdam lebt. Als er mit seinem Sohn durch die Stadt radelte, kam er auch aufs Gelände zwischen Heinrich-Mann-Alle und Horstweg und traf dort den Servicebereichsleiter des Landesbetriebes für Liegenschaften, Michael Sauter. Als Hannoschöck über seinen Wunsch nach freien Atelierräumen sprach, fand er sofort offene Ohren. „Michael Sauter zeigte mir das leer stehende Haus, drehte den Wasserhahn auf, schaltete das Licht an und gab mir den Schlüssel. Über so ein unbürokratisches Entgegenkommen kann man nur staunen. Wir trauen es uns gar nicht laut zu sagen, was für ein Glück wir hier haben. Von so einer Herberge träumen andere Künstler.“ Irgendwann, wenn das Geld da ist, soll alles saniert und vom Bundespolizeipräsidium nebenan genutzt werden. „Doch bis dahin können wir hier noch viele schöne Sachen machen“, so Hannoschöck, der sich gerade großformatig in freier Figürlichkeit religiösen Themen zuwendet.
Für ein Jahr gibt es vorerst einen Mietvertrag zu sehr erschwinglichen Konditionen, aber es könnte durchaus ein längeres Intermezzo werden. Schön sei es, so die Künstler, dass sich alle ganz ungehemmt austoben und auch auf Wänden und Böden ihre Spuren hinterlassen können. So gibt es nicht nur die Blutspuren von Filmleuten, die hier irgendwann wohl einen Vampirfilm drehten, sondern auch Elefanten und Schmetterlinge, die die Kinder der Malschule von Martin Mehlitz über den Treppenlauf entlang ziehen lassen.
Wenn das Haus saniert wird, fallen all’ die buntbemalten Wände. Doch bis dahin können sie noch viel erzählen: über ihre Zeit als Preußische Landesirrenanstalt, als Quartier für die Grenztruppen der DDR oder als Ausbildungsstätte für Friseure, Köche und Elektriker. „Alles das spürt man, ohne dass man die Geschichte kennt. Sie fließt von unsichtbarer Hand in die Arbeit mit ein“, sagt Ira von Kunhardt. Sie hatte das Gefühl, plötzlich auf Weiß arbeiten zu müssen, obwohl ihre Arbeiten sonst viel farbiger sind. Aber dieser Krankenhauscharakter färbte ab. Auch die Anschlüsse für die Waschbecken der Friseure, die im Fußboden herausragen, hat sie künstlerisch verfremdet und schließlich ihre „medizinischen Bilder“ von Lunge oder Auge in den Flur gehängt.
Vorher arbeitete die Münsteranerin im Kunsthaus „sans titre“. Doch das hat sich inzwischen mehr zu einem Veranstaltungshaus entwickelt und biete ihr nicht mehr die nötige Ruhe. Die Musik, die nun vom Dachgeschoss herunterwummert, stört sie indes keineswegs. „Mein Handschlag geht dann genauso schnell wie die Rhythmen.“ Sie malt gern nach Musik, wie ihre Farb-Töne-Bilder zeigen. Oft kommen aus der Klangwerkstatt, in der vier junge Musiker für zeitgenössischen Tanz und Theater komponieren, auch gruselige Töne. „Wenn man hier abends arbeitet, denkt man schon, gleich biegen Geister um die Ecke“, so Ira von Kunhardt. Die Illustratorin Jenne Baule-Prinz hatte wohl ähnliche Assoziationen, als sie mit Kindern ihre Monster aus Klopapierrollen bastelte. Dazu lädt sie auch beim Offenen Atelier ein. Zwischendurch gibt es Negerküsse und Gummibären, verspricht sie. Lange Zeit arbeitete die gebürtige Friesländerin für Verlage zu Hause. „Hier im Atelier kann ich wieder freidrehen, mit Farbe und Formaten experimentieren, ohne jede Beschränkung.“
Es gibt auch politische Auseinandersetzungen im Haus 17, so wenn Peter Jaworsky seinen Kopf Friedrich II. mit dem Konterfei Hitlers verschmelzen lässt und auf der übermalten Fotobearbeitung an die königlichen Kriegsverbrechen erinnern will. Die Eurokrise hat der gebürtige Heidelberger ebenfalls wandeinnehmend thematisiert, in dem er die Welt in Gestalt des Euros auseinanderbrechen lässt.
Versöhnlicher ist da die „ Abendstimmung am Heiligen See“ von Lisa Schoeffer oder die sehr malerischen lichtdurchtränkten Ansichten der Römischen Bäder oder des Neuen Palais. Die umtriebige Künstlerin, die in Paris studiert hat und mit Mann und drei Kindern in Straßburg lebt, verbringt jetzt fast die Hälfte des Monats im vertrauten Potsdam, das sie von ihren Besuchen bei der Schwester kennt. Sie möchte bald über die Stadt ein Aquarellbuch herausbringen. „Man schafft viel, wenn man allein für sich arbeiten kann und nicht waschen und putzen muss.“
Es geht sehr weltumspannend zu, in diesem Haus der fröhlichen Leute, die sich gern auch mal gemeinsam beim Kaffee unter die Linden setzen. Wie Martin Mehlitz, der seine Kindheit mit dem forschenden Vater in Afrika verbrachte und noch immer mit der roten Farbe afrikanischer Erde malt. Ab er auch Lehmklumpen der Ostsee in eine weiße Landschaft bannt.
Und dann gibt es da noch den rotausgeschlagenen „Tempel“ von Susanne Rikus, die viele Jahre auf Hawaii lebte, von Schamanen lernte und mit Delfinen schwamm. Immer ganz nah an der Natur, so wie ihre Bilder. Jetzt schaut sie auf die zu Stein geronnenen Gottheiten Potsdams. Ihr gehe es um die Achtsamkeit, mit der die Menschen die Erde bewachen, so die Feng Shui-Beraterin. Und die finde sie in Potsdam ebenso wie auf Hawaii.
Die HFF-Studenten mit ihren Ton- und Filmcollagen, die sie auch am Sonntag vorstellen oder die komponierenden Ex-Studenten der Universität der Künste Berlin, die sich unterm Dach ein Tonstudio vom Feinsten mit zehn Lautsprechern eingerichtet haben, schalldicht und mit rosaroten Flokati-Teppich ausgelegt, entsenden in die malerische Stille hinein ihre aufwühlenden Töne, in der sich auch mal der Schrei einer Frau mischen kann.
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