
© J. Bergmann
Kultur: Blau-weiß, vielschichtig
Was es mit dem berühmten und begehrten chinesischen Porzellan auf sich hat und was man daraus machen kann, zeigt eine Ausstellung in der AE Galerie
Stand:
Man kennt das aus Omas Küche oder Esszimmer. Dort hingen blau-weiße Schmuckteller über dem Buffet und an der Küchenwand die Delfter Kacheln, blaue Landschaften auf weißem Grund, Segelschiffe, Windmühlen, Wölkchen. Klare, reduzierte Schönheit. Ganz ähnlich muten die Teller an, die in der AE-Galerie eine Wand komplett einnehmen, ganz bieder und bourgeois. Erst beim zweiten Hinsehen entdeckt man den Bruch – dass im Inneren des Schmuckkranz’ aus floralen Motiven keine holländische Mühle prangt, sondern die Silhouette eines Atommeilers. Und dass sich versteckt im Blütenkranz das Symbol für Radioaktivität findet. Auf die skurrile Idee, klassisches Dekor mit provokantem Inhalt zu bestücken, kamen Mia Grau, Andree Weissert und Heike Tropisch. Irgendwann, so Galeristin Angelika Euchner, sei ihnen aufgefallen, dass diese Atomkraftwerke wie identitätsstiftende Landmarken wirken, ähnlich wie früher Kirchtürme. Die Teller „Brokdorf“, „Krümmel“ oder „Rheinsberg“ zeigen eine trügerische Idylle, über den Kraftwerkssilhouetten strahlt die Sonne, drumherum grasen Kühe, alles im schönsten, sanften Blau-Weiß.
„Blaues Wunder, weißes Gold“ nannte Euchner die Ausstellung mit sechs Künstlern, in der sich alles um das schönste Porzellan dreht. Die Liebe für das Blau-Weiße entdeckte Euchner in der Türkei, wo Sultan Süleyman der Prächtige im 16. Jahrhundert Zigtausende Stücke feinsten Chinaporzellans sammelte, und sich Farbe als auch Motive bis heute wiederfinden in den Dekoren und Fliesen in Museen und Moscheen. Bis es sogar im Abendland ankam, wo aus den Pfirsichen und Granatäpfeln die profane Zwiebel wurde und das unverwüstliche Zwiebelmuster in den bürgerlichen Haushalten einzog.
In der Keramik von Tineke van Gils steckt Dreierlei: Die chinesische Tradition, die Moderne – und in gewisser Weise auch die Vielschichtigkeit einer Zwiebel. Denn van Gils verarbeitet blaue Pigmente und weiße Porzellanerde in Schichten. „Als wenn man Blätterteig herstellen würde“, sagt Euchner. Schicht um Schicht wird das Material aufgebaut, bis die Linienführung ganz fein ist. Dann formt van Gils hauchzarte Wände aus dem Material. Das ein Muster wie ein Bodenprofil zeigt, wie ein Baumkuchen. Tineke van Gils’ zarte Kreaturen, Teekannen, Tabletts, kleine feine Becher, alle irgendwie gleich und doch jeder ein wenig anders, Individuen in der Masse, legen sich einem schmeichelnd in die Hand. Wenn man sich denn überhaupt traut, sie in die Hand zu nehmen und zu benutzen. Sie fertigt auch Vasen und Gefäße, manche mit Deckeln, die wie Stilansätze eines bauchigen Kürbisses aussehen.
Die holländische Künstlerin Tineke van Gils hat unter anderem direkt in China gelernt, sich dabei auch die traditionellen, uralten Werkstätten angesehen und hat in allen Produktionsschritten mit angefasst. Daraus sind auch ein Film über dieses Jahrhunderte alte und faszinierende Handwerk und ein Buch entstanden. Bei der Finissage am morgigen Freitag wird der Film gezeigt, Tineke van Gils ist anwesend. Der Film „Blanc de Chine, das schönste Mädchen in der Klasse“ zeigt, wie archaisch mancherorts noch die Methoden zur Gewinnung und Bearbeitung von Porzellanerde sind. Teilweise kommen bei bestimmten Arbeitsschritten noch Tiere, beispielsweise Esel, zum Einsatz. Maschinen sucht man vergebens, alles ist Handarbeit. Auch van Gils produziert in China – unter anderem Teekannen für die Stadt Delft.
Neben der Holländerin zeigt Keramikerin Martina Thies ihre Arbeiten. Sie verfremdet das klassische Kobaltblau, hellt es auf, so dass es bisweilen wie ein türkiser Swimmingpool matt leuchtet. Ihre Vasen und Gefäße sind eine Fusion aus klassischen Rundungen und modernen Spielweisen, die sparsame Malerei orientiert sich an asiatischen Motiven – Kringel und Formen, wie sie seit Jahrhunderten in China verwendet werden – und an Drachen und Schlangen erinnern sollen.
Petra Weifenbach wiederum zeigt, was sich aus Bruchstücken machen lässt. Sie recycelt Porzellanscherben. Packt sie in Bilderrahmen und malt witzige Szenen drumherum. Da wird die kleine Scherbe zum Hut einer Dame oder zu einer Kette an deren Hals. Zu schade zum Wegwerfen findet das weiße Gold neue Verwendung.
Filmvorführung am morgigen Freitag um 19 Uhr in der AE Galerie, Charlottenstraße 13. Der Eintritt ist frei. Finissage am Samstag, 8. Oktober um 18 Uhr, geöffnet von 12 bis 21 Uhr
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