Kultur: Bleischwer und wild bewegt
Die Produzentengalerie M zeigt Bilder und Fotos von Susanne Pomerance und Ingo Kuzia
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Ein Gewirr von Linien, Blättern, Büschen, Hecken. Mit nachtschwarzem Stift hat Susanne Pomerance ein dichtes Geflecht auf eine Glasscheibe gezeichnet. Die gläserne Wand schafft einen Abstand zwischen dem Betrachter und dem Bild. Die Zeichnung rückt in den Raum hinter der spiegelnden Fläche. „Alice hinter den Spiegeln“ entdeckte bei Lewis Carroll ein sonderbares Wunderland. Bei Pomerance entfaltet sich eine melancholisch verwunschene Wildnis. In die hat sich allem Anschein nach noch keine Menschenseele verirrt. Hinter der Transparenz der Scheibe wuchert es undurchdringlich.
„Transparenz und Dichte“ ist der Titel der aktuellen Ausstellung des Berufsverbandes bildender Künsterinnen und Künstler in Brandenburg (BVBK). Die Malerin Susanne Pomerance und der Fotograf Ingo Kuzia zeigen Bilder und Fotos. Teilweise sind die Werke für die Präsentation im BVBK entstanden, andere stammen aus älterer Produktion. Sie laden ein zu einer Reise durch verschiedene Werkphasen. Landschaften auf Foto, Karton und Papier sind zu sehen. Die Positionen von Malerin und Fotograf nähern sich bei der Suche nach der Verdichtung und dem Durchscheinenden in der Kunst an. Fotos werden malerisch.
Eine Zeichnung von Susanne Pomerance, mit Kohle ausgeführt, großformatig aufgezogen und in einem Leinwandrahmen präsentiert, bekommt durch die verwischten Spuren der Kohle die Anmutung einer Schwarz-Weiß-Fotografie. Leicht und impressionistisch wirkt das Bild mit eingestreuten weißen Feldblumen. Erdenschwere Farben, lebhaft wogende Felder und Ackerkrumen, die sich in den Bildraum schlängeln, zeigt die Künstlerin auf kleinen Formaten, mit Pastellkreide und leichtem Strich in den Bildraum geworfen. Bei einer neueren Serie, Horizonte betitelt, liegt ein fahler Schleier über den Baumwipfeln und Winterlandschaften. Melancholie durchweht die Bilder. Sie korrespondieren mit Fotos von grauen, bleischweren Wasserflächen und tiefblauen Himmeln, über die federleichte Wolken huschen. Die Fotografien Kuzias leben vom Licht, das hinter einem weiten Horizont erscheint und dennoch keine harten Schlagschatten wirft.
Den 1957 geborenen Berliner Kuzia interessiert aktuell der Raum, die Inszenierung, die Schönheit der Welt. Nachdem der Fotograf zunächst Germanistik, Fotografie und Publizistik in Berlin studiert hatte, wandte er sich mit Ausstellungen zum Thema „Grenzen“ oder „20 Jahre friedliche Revolution“ auch der Fotografie zu. Einen Fotografiepreis erhielt er 2008 für seine Ausstellungsbeteiligung zum Thema Rückblende. Sein Portfolio zeigt das breite Spektrum des Fotografen. Für das von ihm vermutete schnelle Leben in der Hauptstadt findet Kuzia eine angenehme Metapher, wenn er Fahrzeuge in Lichterstreifen, die über das Bild huschen, verschwinden lässt. In der Nacht scheinen silbrige Lichter in den Gebäuden des Regierungsviertels, Baukräne ragen dürren Riesen gleich in den Himmel über dem nächtlichen Potsdamer Platz.
In den Bildern der ebenfalls 55-jährigen Susanne Pomerance dominiert häufig ein Interesse am vibrierenden Rhythmus der Linie. Die Sensibilität für den Strich und die Fähigkeit, den Betrachter in den Sog des Bildes zu ziehen, erlernte Pomerance zunächst in einem Germanistik- und dann beim Studium der freien Malerei. Häuserlandschaften stapeln sich in ihrem Onlineportfolio zu dichten Gebilden, zusammengesetzt aus kleinteiligen Elementen und verwogen durch den schwingenden Strich. In ihren Dirigentenbildern, die auf ihrer Internetseite zu sehen sind, reduziert sie die Partitur auf die bewegte Gestik des Dirigenten.
Die Bilder der Ausstellung in der Produzentengalerie M sind Momentaufnahmen aus einer menschenleeren Welt. Bilder einer Welt vor dem Sündenfall. Keine Atomkatastrophen, keine durchgeknallten religiösen Fanatiker und keine Diskussionen über milliardenschwere Rüstungslieferungen an autoritäre Systeme. Die Erde, ein Ort bewegter aber possierlich kleiner Naturgewalten bei Pomerance, ein Präsentierteller hübsch polierter Erhabenheit bei Kuzia. Das Foto wird zum Vorwand, um hinter einer transparenten Landschaft möglicherweise etwas von der Transzendenz aufscheinen zu lassen, die diese Landschaft durchdringt.
Dagegen stellt der Fotograf dicht gewachsene Birkenstämme. Eine feste Wand aus schlankem Holz ist für den Betrachter undurchdringlich. Nur an wenigen Stellen am oberen Bildrand brechen glitzernde Sonnenstrahlen durch. Die gemalten Bilder und die Fotos wollen nichts illustrieren. Sie stehen für sich, laden ein zum Verweilen und dazu, in die Landschaften einzutauchen. Das funktioniert freilich vor den Toren Potsdams, in den zahlreichen nahen Naturschutzgebieten noch besser als in der Zweidimensionalität.
„Transparenz und Dichte“ in der Produzentengalerie M, Charlottenstraße 122, mittwochs bis freitags, 11-17 Uhr und sonntags, 11-18 Uhr
Richard Rabensaat
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