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Kultur: Bodenhaftung

„Geschichten aus der Uckermark“

Stand:

In der weitläufigen Region kann man sich gut aus dem Wege gehen. Hass und Ärger verfliegen unter dem unendlichen Himmel. Gefährlich wird es nur, wenn sich aufgestaute Gefühle in den Häusern hinter verschlossenen Türen einnisten. Sie erschweren das Atmen und schreien danach, durch gewaltige Taten, durch wildes Toben auszubrechen, auf dass man wieder Luft bekommt.

Die Berlinerin Octavia Winkler erzählt in ihren biografisch gefärbten Geschichten aus der Uckermark „Vom Leben auf dem Lande“ (Aschenbeck Verlag). So unspektakulär wie der Titel ist auch die Handlung, auch wenn es am Ende einen Toten gibt. Der Erzählstrom schlängelt sich in behutsamen Bahnen durch die Landschaft. Der Leser wird sanft in die unaufgeregten Beschreibungen hineingezogen, schaut mit warmem Blick in die Seelen der bodenständigen Einwohner. Zugezogene haben es schwer, die rauhe Schale der Bauern zu knacken. Künstler vom Prenzlauer Berg, die in der Uckermark das ideale Fleckchen zum Aussteigen sehen, werden skeptisch beäugt, doch toleriert. Die 1960 geborene Autorin schlägt einen großen Bogen: beschreibt das Leben vor, während und nach der Wende.

Im Mittelpunkt steht die Ich-Erzählerin, die sich nach ihrer Scheidung mit der kleinen Tochter über holprige Straßen in Richtung Norden aufmacht und in einem alten Bauernhof Gefallen an die wohlige Trägheit des Landlebens findet. Alte Frauen mit Kopftuch und Kittelschürze sitzen neben ihren ebenso alten Männern mit Filzhüten auf Bänken. Katzen und Hunde umstreichen die Beine. Es scheint, als stehe die Zeit still. Doch unter dem friedlichen Schwalbenflug brüten Konflikte. Bis sich während eines Streits unter zwei neuen Geschäftspartnern der Marktwirtschaft ein tödlicher Schuss löst. Auch in Johann, Sohn einer verbiesterten Großbauernwitwe, rumort es. Wie gern würde er seine heimliche Sommerfrau für immer in die Arme schließen. Doch die engstirnige Mutter schiebt einen Riegel davor. So wird er Muttersöhnchen bleiben, denn der ausweglose Griff zur Axt blieb ohne Folgen.

Man spürt die große Nähe der Autorin zu ihren Helden, die sie ohne Berührungsängste literarisch in die Arme schließt. Wie Michi, der aufgrund seiner schlichten Geistesverfassung um seinen Lohn geprellt wird, oder das Alkoholikerpaar, das hilfsbereit bei anderen mit zupackt. Es geht in dem schmalen Buch nicht um schnelle Urteile, sondern um einen unverstellten Blick – unter freiem, aber auch getrübem Himmel. Heidi Jäger

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