
© Archiv Filmmuseum
Kultur: Böse Räume
Eine Foyerausstellung im Filmmuseum zeigt, „Wo Hexen und Dämonen wohnen“
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Diese Bilder verheißen nichts Gutes, ja, sie verursachen ein leichtes Frösteln. Nirgends ein warmer Sonnenstrahl, lebendige Natur oder anheimelnde Nischen, in die man sich einkuscheln kann. Hier regiert das Böse. Von einer Ausstellung, die schaut, „Wo Hexen und Dämonen wohnen“, kann man natürlich auch nichts anderes erwarten. Das Filmmuseum lädt derzeit in die Räume des Bösen im Defa-Märchenfilm ein. Dicht gereiht hängen in der ersten Etage des Foyers Szenen- und Kostümbilder, die gar nicht erst versuchen, subtil und unterschwellig mit geheimnisvollen Botschaften zu arbeiten. Das Böse springt sofort und unmissverständlich den Betrachter an. So ist es gewollt, so sind Märchen.
Drei Doktorandinnen der Humboldt-Universität Berlin sind derzeit dabei, den Schatz der Szenen- und Kostümbilder im Archiv des Filmmuseums zu heben. Museumschefin Bärbel Dalichow hatte die Hochschule um Hilfe gebeten, um das umfangreiche Konvolut mit rund 15 000 Szenenbildentwürfen aufzuarbeiten und nach Verbindungen und Traditionslinien zu suchen. Von der VW-Stiftung wird dieses ambitionierte Unterfangen vier Jahre finanziert. Die Ausstellung ist ein erstes sichtbares Ergebnis, und am 14. Dezember folgt eine zweite: dann mit „Schlössern auf Celluloid“, die die königliche Architektur im Defa-Spielfilm in Szene setzt.
Doch jetzt haben erstmal der Teufel und der böse Wolf das Sagen. Das Thema Märchen kristallisierte sich heraus, als Anett Werner die Szenenbildentwürfe zu Klassiker-Literaturverfilmungen, Kathrin Nachtigall zum Historienfilm und Corinna Pohl eben zur Märchenwelt durchleuchteten. „Das Böse ist ein attraktives Ausstellungsthema und immer durch Raum und Kostüm sofort erkennbar. Eine Ausstellung muss eindeutig sein“, betont Corinna Pohl. Und das ist sie durchaus, diese Schau mit ihren höhlenartigen Strukturen, Käfigen, Gittern, gruseligen Wäldern, Dornen statt Blättern, roten Lichtpunkten von Fackeln oder mit leuchtend roten Herzen wie im Obergrusel-Defa-Film „Das kalte Herz“. Dunkle abweisende Räume, in denen oft das Wasser von den Wänden tropft. Die Szenenbildentwürfe legten genau die Fährte, wohin die Filmreise schließend ging – egal ob sie eher grafisch oder malerisch ausgeführt wurden. Zumeist wurden die bösen engen Räume eigens im Studio gebaut.
Wie eine Lichtgestalt fällt eine Prinzessin im hellblauen Kleid aus dem Ausstellungsreich der Düsternis heraus: eine Figurine von Barbara Braumann zu dem Märchen „Wer reißt denn gleich vorm Teufel aus“. Ein von den Frauen bewusst gesetzter Kontrast. Auch der gezeigte Teufel sieht ein bisschen aus wie ein Depp und ist wenig furchteinflößend. „Um das Böse abzumildern und für Kinder in einem erträglichen Maß zu halten, wurden die Figuren oft ins Karikaturenhafte getrieben, und so wirkt auch der Teufel wie eine Commedia-dell’arte-Figur. Man wollte das Böse veranschaulichen und zugleich entkräften“, so Pohl.
Die drei Kunstwissenschaftlerinnen haben sich durch die gesamte Defa-Zeit gearbeitet und dabei durchaus Entwicklungssprünge bemerkt. Anfangs dominierte das Dunkle und Feuchte. Die 70er Jahre bestachen dann durch das Charmant-Komische. „Sicher spiegelte sich das Aufbruchsmäßige in der Gesellschaft, wo es noch mal so eine Hoffnung gab, wider. Das Märchen steht ja nicht losgelöst von Zeitströmungen“, so die 30-jährige Corinna Pohl. In den 80er Jahren habe es indes viel dunkle Fantasy gegeben. „Die Märchen wurden geprägt von Melancholie.“ Da ist zum Beispiel das Märchen vom „Froschkönig“ mit den Entwürfen von Christoph Schneider zu sehen, wo es Irrgärten gibt und Dunstschwaden und eine Zitadelle, die an die Smaragdenstadt vom „Zauberer von Oz“ erinnert. Die Frauen haben noch eine weitere Parallele entdeckt: zu einer Radierung von Piranesi und seiner „Zugbrücke“, die er vor rund 300 Jahren zeichnete. Auch diese Grafik ist zum Vergleich in der Ausstellung zu sehen. „Die Entwürfe der Szenenbildner entstehen schließlich nicht aus dem Nichts. Sie zeigen Traditionslinien auf.“ Und dazu gehört eben auch die Tradition des Labyrinths. Dieser „Froschkönig“ sei bei den Kindern indes nicht so gut angekommen, „sie kamen offensichtlich mit der Fantasywelt nicht klar. Ihre Märchenvorstellungen entspringen doch mehr der Romantik“, betont Corinna Pohl.
Warum bestimmte Stoffe zu bestimmten Zeiten verfilmt wurden, auch daran forschen die jungen Frauen. Das Märchen hatte natürlich auch einen politischen Anspruch. Der Gipfel sei „Das tapfere Schneiderlein“ aus den 50er Jahren gewesen. Da bestieg der Schneider nicht mit der Prinzessin den Thron, sondern mit der Magd. In einer Kritik hieß es dann: „Waren die Gebrüder Grimm Marxisten?“. In Märchen geht es vor allem um moralische Komponenten wie Stärke und Durchhaltevermögen. Das ist für jedes Regime attraktiv. Durch die Nazizeit sei das Märchen schwer in Verruf gekommen. „Nach dem Krieg hieß es sogar, dass die Märchen die Deutschen so grausam werden ließen. Es gab eine Karikatur mit Hänsel als HJ-Junge und Gretel als BdM-Mädel, die die jüdische Hexe in den Ofen schoben“, erzählt Corinna Pohl.
Während im Westen Deutschlands dieselben Regisseure nahtlos weitergedreht hätten, die vorher Nazi-Märchenpropaganda machten, habe es bei der Defa einen Schnitt gegeben. „Märchen wurden nun gern zur sozialistischen Erziehung verwendet. Man kann gut ablesen, ob gerade Kalter Krieg oder Tauwetter war. Diese Strömungen sind spürbar. Man lernt ganz viel über die Zeit, den Wandel und auch, dass man nichts pauschalisieren kann. Die Filmemacher hatten durchaus auch Freiheiten“, stellten alle drei Doktorandinnen in den Recherchen fest.
Die erste Defa-Märchenverfilmung war 1950 „Das kalte Herz“ von Paul Verhoeven mit Szenenbildentwürfen von Emil Hasler. Sie wurde damals als „blutrünstige Folterkammergeschichte“ kritisiert, die für Kinder viel zu grausam sei. Auch von ihr hängen natürlich Bilder in den „Räumen des Bösen“.
Zu sehen bis 9. Dezember, Foyer im Filmmuseum, Am Marstall/Breite Straße 1a, Di bis So 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei
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