
© HL Böhme
Kultur: Böser Traum
Raphael Rubino spielt am HOT in Ingmar Bergmanns „Das Schlangenei“
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Wie elektrisiert springt Raphael Rubino auf und beendet in aller Eile das Gespräch. Beim Erzählen über seine Rolle als Abel Rosenberg in „Das Schlangenei“ hat er fast die Zeit vergessen. Flugs schnappt er Schal und Jacke und macht sich auf den Weg, um seinen Sohn von der Schule abzuholen. Die Rubinos sind neu in der Stadt. Lange haben sie überlegt, welche Alternative es zu Köln geben könnte. Für den Schauspieler und Familienmensch Raphael Rubino stand fest, dass er das Theater im benachbarten Bonn verlassen wollte, und das noch rechtzeitig vor der Einschulung seines „Großen“. Zwar gehörte er in Bonn zu den Protagonisten, spielte den Woyzeck oder Othello, aber zu vieles fand er eingefahren. Zudem fehlten ihm ebenbürtige Partnerinnen in seinem Alter, mit denen er selbst weiter wachsen konnte. „Es gab in Bonn nur junge Schauspielerinnen, die wenig kosten, und ältere, die unkündbar sind.“
Vom Hans Otto Theater ist der 39-Jährige begeistert: „Ein tolles Ensemble“, sagt der kräftige Mann mit den weichen Gesichtszügen und den warmen Augen, deren Farbe sich im Braun des Wollpullovers wiederfindet. Nach seinem Debüt in „Endstation Sehnsucht“ steht er ab morgen unter anderem wieder mit Melanie Straub auf der Bühne, und da funkte es beruflich sofort.
Die deutsche Erstaufführung „Das Schlangenei“ nach einer Filmerzählung des schwedischen Meisterregisseurs Ingmar Bergmann sei schon ein ziemlicher Brocken, sagt er. „Aber ich habe dabei nicht viel Text zu sprechen.“ Jemandem wie Abel, einen in sich gekehrten Mann, dennoch Präsenz zu geben, sei indes schwieriger, als den Othello zu spielen. Mit dem Wechsel ans neue Theater hat sich der in Essen geborene Raphael Rubino, dessen Großeltern aus Italien stammen, einiges vorgenommen. „In Bonn haben die Regisseure von mir Mechanismen verlangt, die sie immer schon gesehen hatten: Vor allem Kraft und große Körperlichkeit. Hier in Potsdam möchte ich etwas Neues ausprobieren, die leisen Töne.“ Allerdings kommt er sich gerade etwas „unterspannt“ in den Proben vor. „Aber ich vertraue da auf den Regisseur.“
Die deutsche Erstaufführung am Hans Otto Theater ist in der Welt des Varietés angesiedelt: hinter dem Halbrund der Zirkusmanege, auf das die Zuschauer Backstage schauen. Alle Figuren tragen clowneske Züge: der Arzt, der an Menschen experimentiert, die Nazis, die anfangs noch als Schlägerbanden durch die Stadt ziehen und bald in Uniformen aufmarschieren. Und auch Abel, der arbeitslose Artist und Alkoholiker, dessen Bruder sich das Leben genommen hat. Selbst Jude, schaut Abel wie alle anderen tatenlos zu, als marodierende Horden einen alten Juden treten. In seinem Welthass sagt er sogar: „Die Juden sind selber schuld.“
„Der Stoff, den Ingmar Bergmann vor dem Hintergrund des gescheiterten Hitlerputsches 1923 und der großen Inflation ansiedelte, ist sehr aktuell. Wieder stehen wir vor dem Verfall des Geldes und wieder wird extremes Gedankengut gern gehört“, so Raphael Rubino. In der Inszenierung von Niklas Ritter spüre man die Atmosphäre der Unsicherheit, den Werteverlust und die Verführbarkeit. „Die Bedrohung schwebt über allem, ist aber nicht wirklich greifbar.“
Der Schauspieler hat für seine Rolle viel recherchiert und sich den Bergmann-Film gleich zweimal angesehen: vor und während der Proben. „Bei uns spielt der Surrealismus eine viel größere Rolle als im Film. Das Gezeigte auf der Bühne ist eigentlich nur ein böser Traum Abels.“ Der Blick Rapahel Rubinos richtet sich auch immer interessiert aufs Bühnenbild, mit dem er selbst seine Theaterkarriere begann. Zuvor war er nach Abbruch eines Physikstudiums in der Malklasse von Markus Lüpertz an der Kunstakademie Düsseldorf. „Aber ich stand nicht mit meinem ganzen Herzen hinter der Malerei.“ Stattdessen baute er große Rauminstallationen, stellte zum Beispiel die Wohnung seiner verstorbenen Großmutter in einer Halle nach. „Im Rampenlicht bekommt das scheinbar Banale, wie Fotos oder eine Zeitung, plötzlich eine ganz andere Bedeutung.“ Theater wurden auf ihn aufmerksam und so baute er bald dort seine Bühnenbilder. Doch diese bevorzugten in den 80er Jahren statt des Banalen die Üppigkeit, das Überladene. Sehr zum Verdruss von Raphael Rubino. Aus dieser Unzufriedenheit erwuchs schließlich der Wunsch, selbst zu spielen. „Es klingt vielleicht arrogant, aber ich fand vieles auf der Bühne zu eitel“, so Raphael Rubino.
15 Jahre ist er inzwischen Schauspieler, mit einem Bilderbuchstart. Nach dem Studium in Graz holten ihn das Burgtheater und die Salzburger Festspiele – allerdings unauffällig für den Chor, wie er gleich anmerkt. In Oberhausen und Bonn sah man ihn dann wirklich, spielte er sich aus der Masse in den Vordergrund.
Und dort ist er nun auch in Potsdam zu sehen, in einer Inszenierung, für deren Thema er sich früher gar nicht so sehr interessierte, in das er jetzt aber umso tiefer eingedrungen ist – mit familiärer Verbandelung. Denn sein Opa war auch Jude. Doch das erfuhr der Schauspieler, Vater zweier Söhne und einer Frau, die Krankenschwester ist, erst spät. Warum, muss unbeantwortet bleiben. Raphael Rubino eilt zur Schule davon.
Premiere am morgigen Freitag, 19.30 Uhr, Hans Otto Theater, Reithalle, Schiffbauergasse
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