Kultur: Brandenburg in Berlin entdecken
Ausgewählte Exponate von „Mark und Metropole“ im Kutschstall (7) / Von Andreas Bernhard
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Heute ist es kaum vorstellbar, dass Schöneberg einmal ein Dorf war, in das die Berliner zur Erholung fuhren, ja dort die Vergissmeinnicht-Teppiche, Auen und klaren Gewässer bewunderten. Dort gab es den Hopfengarten, der zum Botanischen Garten wurde (heute Kleistpark), viele Gaststätten und die „Maison der Santé“, die erste wirkliche Heilanstalt für psychisch Kranke. 1913, als in Schöneberg die Natur bereits restlos zugepflastert war, wurde Walter Kollos Operette „Wie einst im Mai“ ein gewaltiger Bühnenerfolg. Noch heute bekannt ist das Lied „Das war in Schöneberg im Monat Mai“, das gewissermaßen einen Abgesang auf die untergegangenen Qualitäten des Ortes bildete.
Als blühende Großstadt zählte Schöneberg damals über 170 000 Einwohner. Unter dem ersten Oberbürgermeister Rudolf Wilde war eine moderne städtische Infrastruktur entwickelt worden, darunter die weltweit erste kommunale U-Bahn. 1911 holte man sich als neuen Oberbürgermeister den aus der Straßburger Verwaltung stammenden Alexander Dominicus, der sich später zu einem der wichtigsten Wortführer der Bildung einer Einheitsgemeinde Groß-Berlin entwickeln sollte. Dominicus konnte sogleich den von seinem Vorgänger initiierten Rathausneubau umsetzen. Das riesige Gebäude entstand bis 1914 nach Plänen der Architektensozietät Peter Jürgensen und Jürgen Bachmann und rief Neider auf den Plan. Angeblich sollen die Berliner angesichts der vier allegorischen Figuren am Turm gespottet haben, sie stellten die vier Sinne der Schöneberger dar, denn denen fehle der Geschmack. Zugegebener Weise war die kleinteilige Turmhaube den Architekten im Entwurf nicht besonders gelungen. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg hat man sie durch einen neoklassizistischen, flachen Turmabschluss ersetzt. Dessen ungeachtet war der Rathausneubau aber eines der bemerkenswertesten Bauten seiner Zeit im Metropolenraum und zudem üppig mit Raumkunst und der städtischen Gemäldesammlung ausgestattet – letztere befindet sich dank der Eingemeindung 1920 heute in der Berlinischen Galerie.
Da Schöneberg nun der erste Ort war, der von einem brandenburgischen Dorf zum integralen Bestandteil der Metropole wurde, ist es bemerkenswert, dass im Rathaus ein wichtiger Saal märkischer Identität gewidmet wurde: die Brandenburg-Halle. Vom Namen her ist sie aus Mauerzeiten allgemein bekannt, als das Rathaus dem West-Berliner Senat diente. Doch als festlicher neoklassizistischer Raum mit sehenswertem Bildschmuck ist der längliche Saal nur wenigen ein Begriff. Der Gemäldezyklus, der eine Art Brandenburgisches Bilderbuch darstellt, wurde von verschiedenen Künstlern geschaffen und von Schöneberger Familien und Firmen gespendet. Mit seiner Thematik ist er ein recht einmaliges Bilder-Ensemble. Von mittelalterlichen Klöstern über Stadtansichten bis zum Ziegel-Ringofen reicht das Spektrum der Bilder. Da der Saal sich gegenüber dem in der Ausstellung gezeigten historischen Foto wenig verändert hat, lohnt auch heute noch ein „Ausflug“ zum Rathaus Schöneberg, nicht nur, um sich „Brandenburg“ anzusehen.
Andreas Bernhard ist Kurator der Ausstellung „Mark und Metropole“
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