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Kultur: Brecht auf chinesisch

Vivien Lee aus Hongkong mit ihrem Brecht-Abend in der Galerie Ruhnke

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Brecht „ohne China“ ist genauso undenkbar wie Weißwurst ohne Senf. Vom Studium der fernöstlichen Schauspieltechniken bis „Sezuan“, von „Me Ti“ bis zu den längst überholten Anmerkungen über den vermeintlichen Materialismus des überlebensgroßen Mao, lernte der Augsburger unentwegt vom Reich der Mitte.

Die HongkongChinesin Vivien Lee schöpfte nun ihrerseits etwas aus Brecht. Als Ausstellungs-Special zu den „Grenzgängen“ ihres Landsmannes Qi Yang interpretierte sie am Freitag in der Galerie Ruhnke einige seiner Werke auf recht eigenwillige Weise. Günstige Voraussetzungen: Neben einer gediegenen Ausbildung im Fach klassischer Gesang an der Chinese University of Hong Kong, dem Konzertexamen an der Royal Academy of Music in Manchester und Opern-Engagements in Lübeck, Kassel, Amsterdam und Brüssel beschäftigte sie sich „verstärkt“ mit dem deutschen Kunstlied und mit der Musik des 20. Jahrhunderts.

Ihre pädagogischen Fähigkeiten stellte sie besonders bei Brechts „Gesang Nr. 3“ aus „Mahagonny“ unter Beweis, als sie mit dem reich erschienenen Publikum „An einem Vormittag mitten im Whisky“ als gemeinsamen Refrain einstudierte. Kein Problem, seit zehn Jahren ist sie schließlich Dozentin der Berliner UdK im Fachbereich Musiktheater.

Vivien Lee vermag mit ihrem gehörigen Temperament sehr viel: Singen in mancherlei Tonlagen, Spielen auf dem Keyboard mit und ohne Rhythmus-Begleitung, Komponieren, Stückeschreiben, ihre Auftritte moderieren und fremde (auch Brecht“sche) Vorlagen interpretieren. Nur schien hier wohl auch das Problem dieses gastfreundlichen Abends zu liegen. Sie machte einfach zu viel. Mal mit Brecht-Mütze, mal mit einer Maske der chinesischen Oper, hier als moderierende Interpretin, da mit dem Anspruch, bereits komponierte Texte neu zu arrangieren, verwandelte sie ihr 60-Minuten-Programm in eine sympathische Performance, deren Mittelpunkt sie selber war. Was sie deutsch sang, wechselte ins Englische, von dort sogar zu Chinesisch, damit es ihre Landsleute im Publikum auch verstünden, Sprechgesang alternierte mit gewagten Koloraturen, Melodisches mit Atonalem, mittelalterlicher Choral mit den Finessen der Zwölftontechnik. Wer behielt da seinen Kopf noch oben und wer hielt sich allgemein, wenn sie vom St. Nimmerleinstag sang oder von den seltsamen Flügen der Graugans? Lee setzte freilich die Kenntnis des Brecht“schen Oeuvres einfach voraus, oftmals gab es keine Ansage. Wer es wusste, hatte vielleicht etwas mehr davon. Interpretation oder Interpretin? Das war oftmals die Frage.

Lebhaft war“s, lebendig war“s, unterhaltsam und auch kulinarisch, kaum ein Part klang wie gewohnt. Unklar blieb, ob die Work-Shopperin so viel von Brecht gelernt hat, wie dieser von China, der neue Ton regierte weit vor dem Autorenwort. Gefallen hätte der Abend Brecht bestimmt, denn ästhetisch ging es höchst modern zu, wechselnde Tonlagen und Tonhöhen, abrupte Tempiwechsel, experimentelle Verfremdungen, selbst wenn ein Text mal von einem anderen stammte. Vielleicht sollte sie sich als Person mehr zurücknehmen, alles kann ein Mensch ja nicht haben. So hielt sich der Abend im Grade des Wohlwollens seiner Besucher sehr emotional, gemeinsamer Nenner „Moderne“, gemeinsamer Gusto genießbar – allerdings kühn als ausgewiesener „Brecht-Abend“. Gerold Paul

Gerold Paul

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