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Kultur: Bunt, schrill, mobil

Am 21. April wird in der Schiffbauergasse das Museum Fluxus+ eröffnet / Eine Vorbesichtigung

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Die schlichte helle Fassade lenkt auf eine falsche Fährte. Wer das neue Museum Fluxus+ betritt, ist erst einmal verwirrt. Im art + life shop, den er eingangs erlebt, finden die Augen zwischen diversen Mobiles, Herztüten und bemalten Figuren kaum Halt. Alles ist bunt, schrill und in Bewegung. Und genau das gehört zu dieser in den 60er Jahren begründeten Konzeptkunst, dessen wichtiger Vertreter, Wolf Vostell, nun im Mittelpunkt des zweietagigen Kunsthauses in der Schiffbauergasse steht.

Doch wer den unruhigen Verkaufsbereich hinter sich gelassen hat, wird schnell merken, dass die einst anarchistischen Rebellen den schönen, kommerziellen Künsten durchaus etwas Eigenes, Kraftvolles entgegenzusetzen hatten. Fluxuskünstler wie Yoko Ono, Robert Watts, Benjamin Patterson oder Emmett Willimas trumpften mit Aktionen auf, die die Kunst direkt zu den Menschen bringen sollten. Sie führten Alltagsgegenstände wie Pflastersteine, Löffel, Nachttöpfe und immer wieder auch Musikinstrumente in ihre Werke ein und ließen sie, durchaus augenzwinkernd, zu neuen Sinn-Einheiten wachsen. Wolf Vostell „buk“ beispielsweise in einem dicken Brotlaib einen kleinen Fernsehmonitor ein, der nun stupide in der Ausstellung vor sich hin rauscht. Für Vostell ist die Kunst ein Stachel, der in das abgestumpfte Bewusstsein eindringen soll. Er schaute hin, wo andere sich wegdrehten, ob bei Umweltthemen oder blutigen Kriegen. Seine anfänglich ganz traditionelle Malweise mit braven Landschaften, die auch zu sehen sind, gab er schnell auf. Bei ihm erhalten Kanonenrohre Gesichter, tragen Menschen qualmende Schornstein-Schlote auf dem Kopf. Ein Bild über das Korea-Massaker gehört zu seinen Schlüssel-Werken – ebenfalls gesammelt von Heinrich Liman, einem engen Freund des 1998 verstorbenen Künstlers. Als leidenschaftlicher Kunstmäzen füllt Liman nun mit seinem eigenen Kunstschatz fast das ganze von der Stadt gemietete Haus aus. Auch „Transmigration“, die Collage-Decollage von 1958, in der Vostell als erster Künstler einen Fernseher verarbeitete, gehört zur Potsdamer Schau. Vostells „Salatkiste“ erinnert wiederum an eine seiner vielen Happenings: 365 Tage lang ließ der Künstler aus dem Ruhrpott eine Kiste zwischen Köln und Aachen reisen und beobachtete, wie sich die Blätter des Salates veränderten.

Den idyllischen Blick aus dem Fenster des Fluxus-Museums hinüber zu den roten Fächern des Theaters wird aufgestört durch Vostells Bilder zur Judenverfolgung. Fünf Vorstudien zu seinem drei mal sechs Meter großen Wandbild „Shoa“, das er für Spanien malte, hängen nun berührend in Potsdam.

Neben dem politischen Vostell erlebt man auch den kindlich-verspielten Künstler, wenn er zum Beispiel in einem heiteren Intermezzo sein Dessert, ein Mousse de Chocolat, aufs Papier bannte. Für solche Zwecke hatte er in seinem Spazierstock immer einen Farbkasten dabei, der unter dem goldenen Knauf schnell griffbereit war. Auch andere seiner Leidenschaften sind in der Ausstellung ablesbar: Nur allzu gern fuhr Vostell große Luxus-Schlitten, wie Cadillacs, er verewigte auch schöne Frauen, die mit Stieren kämpfen, auf der Leinwand und schaute zu Goya auf, seinem Maler-Vorbild.

Das kleine Plus hinter dem Wort Fluxus löst das Privatmuseum mit vier noch lebenden Künstlern ein, die mehr oder weniger eng mit Fluxus in Verbindung stehen. Zuallererst sind sie in der Schau, weil sie Heinrich Liman gefallen.

So Costantino Ciervo, Jahrgang 1961, der wie Vostell politischer Künstler ist. „Profit“, eines seiner größten Werke, füllt eine ganze Koje im Fluxus-Museum aus. Auf Schreibtischen stehen Schreibmaschinen mit Plastikkugeln drauf, in deren Inneren sich geschredderte Atlanten befinden. Die Tasten werden nicht von menschlicher Hand, sondern aus der Ferne, von Mikroprozessoren, bedient. Immer mal wieder hört man die Anschläge wie Warnsignale durch den Raum hallen. „Ich beziehe mich in meiner Arbeit auf die Globalisierung und das damit einher gehende Profitstreben. Die nationalen Staaten spielen immer weniger eine Rolle, stattdessen bestimmen die Multinationalen unser Leben. Wo aber bleibt der Mensch?“, fragt sich der Künstler und gibt in begleitenden Performances sogleich Impulse, sich dagegen aufzubäumen.

Während sich Costantino um Aktien, Dax und Index sorgt, führt Hella de Santarossa zwei Eisbären durch die gut strukturierte Ausstellung im Obergeschoss. Schließlich macht sie in ihrem „Lichtraum“ Halt und bedankt sich beim Sammler-Ehepaar Liman mit „Fluxus-Knut“ und „Flocke-plus“. Eine „Taufe“ des Museums mit weißem Dampf vom letzten, polaren Schnee, wie die Künstlerin, die einst zu den Pionieren der „Jungen Wilden“ gehörte, verkündet. Neben dem Eis gibt es das schönste wärmende Sonnenlicht, das die Künstlerin in ihren Werken einfängt. Auch Modelle ihres tintenblauen Obelisks, der am Berliner Theodor-Heuss-Platz schon von Weitem leuchtet, sind zu sehen. In zarter Transparenz präsentiert sich ihr Modell für die Glasskulptur „In-Trans Luc“, das einst im Bürgerforum vor dem Bundeskanzleramt stehen soll: Zwölf Meter hoch und begehbar. „Das Licht ist Leben und ich stelle es den Betrachter in aufgefächerten Facetten vor“, sagt die vor Energie sprühende Künstlerin.

Ebenso zügellos wie die Malerei von Hella de Santarossa wirken Sebastian Heiners wandeinnehmenden Bilder. Sie sind im vergangenen Jahr in China entstanden, „allerdings in einem sehr gedankenvollen, bedächtigen Vorgang“, erzählt Heinrich Liman, der Geschäftsführer von BMS excursion, die das Haus betreibt. „Ich sehe förmlich das Nachtleben und die grelle Reklame, aber auch eine große Romantik“, schwärmt der Sammler. Sebastian Heiner arbeitet mit Ellenbogen, Besen und Fliegenklatsche und bringt die kräftigen Farben in ebenso kräftige Strukturen, in denen die Figuren verschwinden oder sich ganz auflösen.

Wie eine Insel der Stille wirken zwischen dem Fluxus-Gewirbel die Bilder von Lutz Friedel, der 1984 aus der DDR ausgebürgert wurde. Zu sehen sind beispielsweise 30 Arbeiten aus der Serie „Bilder aus dem Kopf“, die durch den Einsatz von Bitumen auf Öl etwas Erdiges und Schweres besitzen. Wenn man in sie hinein hört, vernimmt man ebenfalls eine kräftige Stimme, in der sich Angst und Zerstörung artikulieren und die sich damit in die Fluxus–Maxime „Kunst ist Leben“ durchaus klangvoll einreiht.

Eröffnung: 21. April, 11 Uhr. Es gibt eine Aktion, die an den 2007 verstorbenen Fluxus-Künstler Emmett Williams erinnert.

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