Von Gerold Paul: Bunt statt Grau
Das finnische Ostprodukt von Juhani Seppovaara
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„Nanu?!“ fragt der Zeitgeist erschrocken. „Ein stilisiertes SED-Emblem auf Seite eins, drunter der Spruch Die DDR ist begraben. Unsere Erinnerungen leben“ – darüber wollten wir doch eigentlich nicht mehr reden! Die DDR (noch ohne Gänsefüßchen) ist doch als 2. Diktatur“ gesetzt, und nun kommt so ein Finne daher und veröffentlicht ein Buch voller Nostalgien. Rot könnte man werden!“, schimpft der Zeitgeist verdrossen. Tatsächlich hat der Autor und Fotograf Juhani Seppovaara „so“ ein Buch mit dem Titel „Unter dem Himmel Ostberlins“ gemacht. Am Freitag wurde es im vollbesetzten Veranstaltungssaal der Stadt- und Landesbibliothek von der edition q im be. bra. Verlag und dem Freundeskreis Potsdam – Jyväskylä präsentiert.
Es ist das achtzehnte nach seinem Entschluss, den sicheren Job bei der finnischen Zentralbank zugunsten eigener Interessen zu verlassen. Schreiben und Fotografieren. Mit dieser Ausnahme erzählen alle von seiner Heimat. Wie sein Onkel mit ihm, so fuhr er für eine Reportage monatelang allein mit dem Moped durch Finnland, er schrieb von riesigen Holzkirchen und – den kleinen „Herzhäuschen“ überall. 1980 noch traf er auf einer Beratung europäischer Banken in Budapest jenen Micha, mit dem ihn fortan tiefe Freundschaft verband. Im Buch heißt er Leo K., studierte in Moskau Politische Ökonomie, war ein ganz unangepasster Genosse bei der Akademie der Wissenschaften in Ostberlin. Juhani Seppovaara besuchte ihn in den Achtzigern mindestens zweimal im Jahr. Aus Notizen und Erinnerungsstücken entstand voriges Jahr dieses „finnische Ostprodukt“, dortzulande sogar preisgekrönt!
Ostberlin jener Tage erinnerte den Autor (geb. 1947) an das Helsinki seiner Kindheit, Klo eine halbe Treppe tiefer, überall Kohlenhaufen auf der Straße. Von diesem winzigen Land auf der nördlichen Halbkugel hatte er viel gehört, als „Banker“ musste er selber sehen, wie der real Existierende funktioniert. Sein „halbfiktives“ Buch gibt keine Analysen, es will nur erzählen, sagte er bei der Präsentation. Von Leos Ideen, die DDR-Wirtschaft zu verbessern, aber das brachte nur Ärger. Von offenen Diskussionen während seiner Studienzeit in Moskau mit demselben Ergebnis, bis ihm die Akademie kündigte, er der SED. Fortan lebte er ein Nischendasein, genauso wie sein Freund Alfred von nebenan. Natürlich war die Stasi präsent, Leo kannte die Leute und bat, ihm doch in Wirtschaftsfragen kompetentere Spitzel zu schicken. Sein ganzer Freundeskreis in der Lychener Straße, Silke, Katrin, Horst und andere, suchte mit Glasnost und Perestroika nach Wegen für einen besseren Sozialismus, aber man ließ ihre Meinungen nicht zu: Verräter, Abweichler, Feinde. „Zu starr“, schätzte auch der Autor dieses System nachträglich und fachmännisch ein.
Die Fotos und Montagen Buch zeigen Altbekanntes, Aufgehobenes, doch stets mit Bezug auf die erzählten Geschichten. Die Staatsverfassung mit seiner Skizze eines „Herzhäusels“, „Echtes Birkenhaarwasser“, Briefmarken und Abzeichen, Marx und Honecker, besagte Straße mit Trabis – im Himmel darüber eine Jesus-Figur. Oder jener rote Wartburg, den ein ehemaliger Stasimann für illegale Taxi-Touren nutzte: „Herr K., wohnen Sie immer noch in der Lychener Straße?“ Obwohl er „alles“ von ihm wusste, unterhielt man sich prächtig und ganz entspannt.
Schon seltsam, dass erst ein Finne kommen muss, um endlich zu sagen, was sich, dem Zeitgeist zuliebe, hier fast keiner mehr traut: „Viele glauben, dass das Leben in der DDR grau war. Aber für mich war es bunt und interessant“.
Gerold Paul
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