Kultur: Chronisch vernachlässigt
Der neue Potsdamer Komponisten-Report
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Jahr um Jahr entsteht in Potsdam nahezu unbemerkt neue Musik mit Kunstanspruch – Bühnenwerke, Messen, Orchesterstücke, Kammermusik, Lieder. Und dies geschieht ungeachtet der Tatsache, dass das Schaffen der hiesigen Komponisten nach wie vor an chronischer Vernachlässigung durch die lokalen Konzertveranstalter leidet. Nichtsdestotrotz ist die Lust am Notenschreiben offenbar doch stärker als der Frust beim Antichambrieren. Zudem schaffen Eigen- und Gruppeninitiativen sowie von verschiedenen Seiten geförderte (kleinteilige) Projekte vornehmlich im kammermusikalischen Bereich einigen Frei- und Betätigungsraum.
So gab der in Potsdam ansässige Landesverband der Musikschulen Brandenburg e.V. anlässlich der in diesem Jahr in Spremberg stattgefundenen Landesmusikschultage ein „Brandenburgisches Notenbuch“ mit sieben neuen Stücken für Akkordeon und ein Melodieinstrument heraus. Wenngleich vor allem komponierende Musikschullehrer aus dem ganzen Land Brandenburg als Autoren angefragt wurden, war letztlich jeder Beitrag, der die pädagogischen Intentionen dieses Projektes erfüllte, willkommen. Das Ziel dieser Publikation ist es, nicht zuletzt mit Blick auf die Wettbewerbe „Jugend musiziert“ eine Lücke im Repertoire an leichten und mittelschweren Originalkompositionen für die jüngeren Altersstufen schließen zu helfen. Die Stücke von Gisbert Näther, Bernhard Opitz, Stefan Lienenkämper, Matthias Holz und Wolfgang Thiel werden morgen um 19 Uhr in der Städtischen Musikschule (Jägerstraße), um im Rahmen des Konzerts Neue (Schul)Musik – aus der Praxis für die Praxis zusammen mit weiteren Lehrer- und Schülerkompositionen nochmals zur Aufführung gelangen.
Bereits versandfertig oder in Skizze und Partitur auf dem Notenpult sind in diesem Herbst die unterschiedlichsten neuen Kompositionen. Gisbert Näther, der mittlerweile auf ein sehr umfangreiches und vielgestaltiges uvre mit über 150 Opus- Zahlen verweisen kann, arbeitet zur Zeit an einer „Missa brevis“ für Solisten, Chor, Oboe und Orgel, die für die evangelische Kirche in Neuss bestimmt ist. Alex Nowitz, einer der wenigen freiberuflichen Komponisten und Experimentalsänger in und um Potsdam, hat nach seiner im vorigen Jahr in Osnabrück uraufgeführten „Bestmannoper“ ein neues Bühnenwerk in Arbeit, in dem es um das Phänomen der Zeit in heutiger Wahrnehmung gehen wird. Ein weiteres aktuelles Vorhaben ist eine kammermusikalische Vertonung von Shakespeare-Sonetten. Ebenfalls im theatralischen Fach ist Bernhard Opitz tätig. Trotz umfänglicher pädagogischer Arbeit an zwei Musikschulen schreibt er gegenwärtig ein Musical über Martin Luther King (Text: Martin Ahrends) für die Kinder- und Jugendkantorei Kleinmachnow. Stefan Lienenkämper, der – ebenfalls als Musikschullehrer tätig – nicht nur in der sogenannten E- Musik sondern auch im Jazz über musikalische Erfahrungen verfügt, sitzt derweil nach seiner vor kurzem in Leipzig uraufgeführten Kammermusik „Fundsachen“ für Mezzosopran und Viola d“ amore (nach Texten von Günter Grass) über ein Klavierstück für den Musikclub im Berliner Konzerthaus sowie über einer Musik für einen Fernseh-Dokumentarfilm. Bisher ausschließIich im speziellen Bereich der Schulmusik bewegt sich die Musikwissenschaftlerin Ilka Jaschinski, die momentan an einem Stück für Altblockflöte und Klavier arbeitet.
Alles in allem ist die Landeshauptstadt somit zwar ein recht fruchtbarer Entstehungsort neuer Kompositionen. Jedoch haben musikalische Uraufführungen in ihren Mauern seit 1990 einen eher marginalen Stellenwert. In Potsdam entstandene Werke erleben zumeist anderswo ihre Premiere. So werden beispielsweise von Gisbert Näther im November zwei Werke in Berlin aus der Taufe gehoben und ein „Moment musical“ für Viola und Klavier in Turin zum ersten Male gespielt.
Neben diesen individuellen Unternehmungen wird aber auch die seit 1998 in Eigeninitiative und mit finanzieller Unterstützung des Kulturamtes realisierte Projektreihe der Potsdamer Komponistengruppe weitergeführt werden.
Unlängst trafen sich die Tonsetzer aus drei Generationen mit der Malerin Erica Oeckel, die einen „Kultursalon“ mit Ausstellungen, Lesungen und Musik in der Puschkinallee 16 organisiert. Nachgedacht und debattiert wurde über die Beziehung von Malerei und Musik und über ein neues Projekt, dass in Zusammenarbeit mit Malern des Vereins „Puschkinhaus“ künstlerische Erkundungen und gemeinsame Annäherungen an das vielschichtige Sujet „Menschen in der Stadt“ beinhalten soll, das mit dem Potsdamer Jahresthema 2008 „Metropole und Provinz“ korrespondiert. Wolfgamg Thiel
Wolfgamg Thiel
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