Warum macht man das eigentlich? Steuern zahlen. Sich mit dem Auto in vorgezeichnete Parkfelder stellen. Den Pfeilen der Straßenschilder folgen, dem Kumpel Vorrang lassen, wenn er sich als erster in ein Mädchen verschossen hat. Daniel stellt sich solche Fragen gar nicht erst. Er ist ein sorgloser Typ, für den Regeln, die andere aufgestellt haben, nicht existieren. Und von irgendwo her kommt dann auch immer eine Glücksfee und hilft ihm im letzten Moment aus der Patsche.
Nach dem mehrfach ausgezeichneten „Noi Albinoi“ hat der isländische Regisseur Dagur Kári einen neuen Film auf die Leinwand gebracht, der diesmal zwar nicht in eisigen Schneelandschaften spielt, sondern in Kopenhagen – aber einmal mehr die Geschichte eines Menschen, erzählt, der nicht in diese Welt zu passen scheint. Wie ein falsches Puzzleteil, das sich nicht ins Bild fügt, und dann doch noch seinen Platz findet. Am Freitag hat Dagur Kári „Dark Horse“ im Thalia Kino vorgestellt (Kinostart 12. Januar).
Es geht um den arbeitslosen Daniel, der sich in einem unbeschwerten Leben auf Pump eingerichtet hat, ständig auf der Flucht vor offenen Rechnungen und Knöllchen. Ansonsten läuft er mit Kopfhörern durch die Stadt, sprüht auf Bestellung Liebesgraffitis an Häuserwände, hängt mit seinem dicken Freund „Opa“ zusammen und hat alles andere als Lust, Verantwortung zu übernehmen. Dann taucht die leicht durchgeknallte, Pilze rauchende Franc aus dem Bäckerladen auf, die dann auch noch von ihm schwanger wird. Plötzlich wird vieles anders.
„Dark Horse“ ist so etwas wie eine Mischung aus „Backfischroman“ und Alan Sillitoes „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“. Kári macht das Erwachsenwerden zum Thema und die Schwierigkeit, seinen Platz zu finden in einer Gesellschaft, die für seinen Helden sehr zweifelhafte Regeln aufstellt. Die grobe Handlung ist voraussehbar, ziemlich plakativ und sogar etwas moralinsauer: Daniel treibt verantwortungslos durchs Leben, bis die Liebe und ihre Folgen ihn endlich läutern. Kein besonderer Plot also. Die Art aber, wie Kári die Geschichte ausgefüllt hat, ist außergewöhnlich: Witzige Dialoge, die in Zusammenarbeit mit seinem Freund Rune Schjott entstanden sind, eine Bilderwelt, die überrascht, Handlungsstränge, die einfallsreich miteinander verknüpft sind. „Dark Horse“ erzählt spannend wie feinsinnig, dabei völlig überdreht, ohne aber albern, und unterhaltsam, ohne flach zu sein. Jakob Cedergren ist mit seinem zuweilen tranigen Blick und seinem schluderigen Gang für die Rolle des Daniel perfekt.
Die Geschichte gleicht einem überspitzten Tagtraum. Es laufen Elefanten durchs Bild, zum Thema Vermehrung wird aus einem Mini-Fiat eine ganze Karavane Mini-Fiats, in der spanischen Wüste erscheint ganz plötzlich ein Glück versprechender Weissager. Damit der Zuschauer gar nicht erst auf die Idee kommt, dass der Film ernst gemeint sein könnte, ist er in ein körniges Schwarzweiß getaucht. So ist er der Wirklichkeit ein Stück weit entrückt. Nur einmal kommt in dem Schwarzweißfilm Buntes ins Spiel. Als die Geschichte sich wendet, ist das Bild für ein paar Sekunden farbig. Nicht nur die Handlung ist überspitzt, hier ist es ebenso die Form.
Am Schluss steht ein – langfristig – offenes Ende. Daniels Freund „Opa“ will als Fußballschiedsrichter und auch sonst im Leben für Recht und Ordnung sorgen. Der Film zeigt aber, wie er den Glauben an die Regeln verliert und schließlich orientierungslos durch die Welt geht. Franc verwandelt sich hingegen vom verwirrten Mädchen in eine klar denkende und handelnde Frau. Der eine steigt aus der Gesellschaft aus, die andere steigt ein. Alles ist im Fluss. Und kann morgen schon wieder anders sein. Regel oder nicht Regel, gut oder böse, richtig oder falsch, da hält sich der Regisseur raus. Das zu beurteilen, bleibt Sache des Zuschauers. Gerade das macht „Dark Horse“ zu einem liebenswerten Film, selbst wenn er nicht die Frage beantwortet, ob man sein Auto besser dort parkt, wo es vorgeschrieben ist. Marion Hartig
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