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Kultur: Das Absurde im Alltäglichen

Das Fluxus Museum versammelt Zeugnisse aus einer Aufbruchsphase der Kunst

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Weil das Fluxus Museum in der Schiffbauergasse sein dreijähriges Jubiläum feiern möchte, lässt sich Asli Sungu auf ein Experiment ein. Obwohl sie eigentlich keine Performance-Künstlerin ist, agiert sie für den Musiker und Fluxus-Künstler Ben Patterson. „Sie ist nun eine Drohne und wird von mir gesteuert“, erklärt der 77 Jahre alte Amerikaner. Sungu hat eine Webcam auf dem Kopf festgebunden. Deren Bilder projiziert ein Beamer auf eine Wand. Dort sehen Patterson und die Besucher der Ausstellung, was sich vor den Augen Sungus und der Kamera befindet. „So, jetzt zur roten Tasche herunter, näher, näher“, dirigiert Patterson die 36-jährige Künstlerin.

Assoziationen an das Kriegsgerät des unbemannten Flugkörpers spricht der Künstler zwar an, wichtiger ist ihm aber dann doch der Spaßfaktor bei der Fernsteuerung Sungus. In einer aktuellen Installation in einem dunklen Raum im Museum kann der Zuschauer anhand von Schrifttafeln mit einer Taschenlampe durch das Leben des Fluxus-Urgesteins Patterson wandern.

Die in der Türkei geborene Künstlerin Sungu ist die derzeitige Inhaberin des „Follow Fluxus – Fluxus und die Folgen“ Stipendiums. Im Museum zeigt sie eine Serie von „Home Accidents“. Was im Haushalt so alles schief gehen kann, ist auf vier Videoprojektionen zu sehen. Ein Topf Milch kocht über, ein Glas droht zu fallen, wird nicht rechtzeitig festgehalten und zerschellt dann. Wie Chaos und Kontrolle bei alltäglichen Missgeschicken aufeinander treffen, würden die Arbeiten anschaulich machen, kommentiert der Pressetext. Zwar hält sich der dramatische Aspekt eines Filmes, der überkochende Milch zeigt, in Grenzen, aber das sei gewollt, denn gerade die „minimalistischen Mittel steigern die Wahrnehmung der Komplexität der Alltagserscheinungen“. Folgerichtig zeigen die Objekte der Künstlerin die Abdrücke von zu heißem Küchengerät auf Holz und Stein oder als Foto.

Angefangen hatte die Fluxus-Bewegung mit deutlich spektakuläreren Aktionen. Den Fluss und die Bewegung von Leben und Dasein, das Verschmelzen von Kunst und Alltag, die Vergänglichkeit der Dinge wollten die Künstler sichtbar werden lassen.

Etwa 1960 machten sie sich auf, um Deutschland und der ganzen Welt zu zeigen, welche lebendige und gestaltende Kraft in ihrer Kunst steckt. Wolf Vostell arrangierte für ein Foto einen Zusammenstoß zwischen einem Auto und einer Lokomotive. Der gefakte Unfall schockierte die Betrachter damals. In Berlin goss er 1987 Cadillacs in ein Beton-Monument ein. Für seine Fluxus-Aktion „In Ulm, um Ulm und um Ulm herum“, ließ Vostell 1964 die Zuschauer von dröhnenden Düsenjägern beschallen und karrte sie schließlich zu einem Steinbruch, wo er sie ohne weiteren Kommentar aus dem Bus-Shuttle warf. Ebenso wie Sungu war auch ihm der Bruch im alltäglichen Geschehen wichtig. Weniger flüchtige Werke von Vostell zeigt das Museum, beispielsweise den vergoldeten Torso „Berlinerin“, in dem ein einmontierter Fernseher rauscht, oder Tafelbilder, die den Fluxus-Künstler als talentierten Maler ausweisen.

Die Ölbilder entstanden allerdings erst in den 90er Jahren. Als 1962 der Begriff Fluxus auf der Bildfläche erschien, hatten die Künstler zunächst nicht die Absicht, bleibende Werke zu hinterlassen. In einer Zeit, als in der Malerei der westlichen Hemisphäre die Abstraktion ihren Siegeszug antrat und das Tafelbild ohnehin langsam in Verruf geriet, schien die absurde und flüchtige Aktion zeitgemäß, um mit der Kunst in Leben und die Gesellschaft hinein zu wirken. An den Universitäten begannen die Studentenbewegungen zu gären, der Vietnam Krieg und die „Flower-Power“-Bewegung waren nicht mehr fern. Für ihre Performances verfassten die Akteure Partituren, so auch Wolf Vostell. Eine davon findet sich auch im Museum ebenso wie Dokumentationen von Aktionen.

Die Zuschauer wurden Teil der Kunst. Dem Musiker John Cage bescherte der Video-Künstler Nam June Paik einen gelinden Schock, als er ihm im Verlaufe einer Kunstaktion zunächst den Schlips abschnitt und dann an der Kleidung des Komponisten zerrte, als wolle er sie zerreißen. Die übrigen Zuschauer fürchteten angesichts des eruptiv agierenden Paiks, dieser wolle sich unmittelbar aus dem offenen Fenster des Raumes stürzen, der immerhin im sechsten Stock lag. Dazu kam es nicht, vielmehr wurde Paik einerseits zum wichtigen Bindeglied der Fluxus-Bewegung in Deutschland und den ähnlich agierenden Happening-Künstlern in den USA. Andererseits wurde aus dem Koreaner ein Pionier der Videokunst. Im Museum findet sich seine Material-Assemblage „Dharma, Wheel Turns“ aus dem Jahre 1990, bei der Paik Vinyl-Platten und Tonbänder zu einer Figur montierte, die ein wenig wie ein launiger Gnom ausschaut.

Obwohl das Museum seine Besuchszeiten reduziert hat, schauen etwa 10 000 Interessierte im Jahr dort vorbei. „Die Zahlen sind gleich geblieben“, kommentiert der Geschäftsführer Heinrich Liman. Mit Eintritten und Shop würde das private, gemeinnützige Museum etwa in gleichem Umfang Einnahmen erwirtschaften wie vergleichbare staatliche Institutionen. „Unsere museale Präsentation von Fluxus ist in Deutschland einmalig. Das muss sich noch weiter herumsprechen“, meint Liman.

Museum Fluxus+, Schiffbauergasse 4f, 14467 Potsdam; Öffnungszeiten: Mi-So 13-18 Uhr; www.fluxus-plus.de

Richard Rabensaat

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