
© Steffan Hill
Jüdisches Filmfest in Potsdam eröffnet: Das Auge im Blick
Das Jüdische Filmfest eröffnete im Hans Otto Theater mit einem beeindruckend klugen Film. Noch bis zum 20. Mai werden über 30 Filme gezeigt, die auf die vielen Facetten des Judentums neugierig machen sollen.
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Potsdam - Wohin blickt man im Angesicht des Verbrechens? Auf die Opfer? Oder auf die Täter? Ratio oder Gefühl, was wappnet besser gegen neue Verbrechen? Darum geht es im Kern von „The Eichmann Show“, dem Film, mit dem am Sonntagabend das Jüdische Filmfest Berlin Potsdam im Hans Otto Theater eröffnete. Und es ist vor allem das Alte, was hier die Brücke zur Gegenwart schlägt: In der BBC-Produktion von Paul Andrew Williams fügen sich die Originalaufnahmen des Eichmann-Prozesses und die neuen Spielfilm-Sequenzen zu einem cineastischen Essay.
Ein Nachdenken in Bildern über eine ganz essenzielle Frage: Wohnt der Faschismus potenziell in jedem von uns – oder waren die Nazis die anderen, monströse Bestien, jenseits allem Menschlichen. Darüber – und über den Sinn und Zweck dieser Frage selbst – streiten die Protagonisten: der Produzent Milton Fruchtmann, gespielt von Martin Freeman, und der Regisseur Leo Hurwitz (Anthony LaPaglia). Die beiden hat Williams für sein Doku-Drama dem echten Filmteam nachempfunden, das 1961 in Israel den Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann dokumentierte und als eines der ersten Massenfernsehereignisse in aller Welt ausstrahlte.
Israelis und Deutsche haben einen weiten Weg zurückgelegt
Und so, wie der Film in sich eine doppelte Perspektive einnimmt – die Distanz der Vermittlung und gleichzeitig die Suche nach größtmöglicher Nähe, auch um die Weltöffentlichkeit vor den Fernsehern zu halten –, funktioniert er auch nach außen in doppelter Hinsicht. Zwei wichtige historische Daten werden darin, ohne sie eigentlich zu thematisieren, relevant: Vor 70 Jahren wurde mit dem Sieg der Alliierten auch die Shoah beendet, vor 50 Jahren nahmen Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen auf.
Es ist also, so sagte der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman in der Eröffnungsrede zum Filmfestival, ein Jahr, in dem Israelis und Deutsche den weiten Weg reflektieren, den sie zurückgelegt haben – von der Shoah bis zum heutigen Stand der vertrauensvollen Beziehungen. Dass dieser Weg zurückgelegt werden konnte, sei, so Außenminister Frank-Walter Steinmeier, außergewöhnlich und wunderbar – und „muss uns auch 70 Jahre danach noch wie ein Wunder erscheinen“. Geschehen konnte es nur, „weil das Land der Opfer dem Land der Täter die Hand gereicht hat“, so Steinmeier. Das Jüdische Filmfest sei dabei ein lebendiger Teil des Austauschs, es mache die Menschen seit 21 Jahren neugierig auf die vielen Facetten des Judentums. Natürlich kann auch das umfangreiche Programm des Festivals – 33 Filme sind es in diesem Jahr, die bis zum 20. Mai in Berlin und Potsdam zu sehen sind – nur einen winzigen Ausschnitt aus diesen Facetten zeigen.
Einladung ins Fettnäpfchen-Dreieck
Mit dem Thema – „Lecker Film – Filme die aufstoßen“, hat Festivalchefin Nicola Galliner dabei trotzdem einen so bodenständigen wie klugen Ansatz gefunden. Denn wo manifestiert sich Liebe – und darum geht es ja letztlich bei der Annäherung, dem Überwinden von auch historischen Grenzen – besser als beim Essen?
„Liebe teilen“, so versteht Sherry Hormann, die Patin des diesjährigen Festivals, ihre Aufgabe. Ihre Liebe zu Israel wurde in Jerusalem bei einem Chicoree-Auflauf – mit Schinken! – besiegelt. Die 1960 geborene Schauspielerin, Ehefrau des legendären Kameramanns Michael Ballhaus, teilt sich die Patenschaft mit dem deutsch-türkischen Schauspieler Fahri Yardim. Für ihn, den „Hamburger Kanaken“, wie er sich selbst nennt, wuchs die Liebe zum Jüdischen über die Musik. „Diese Klarinetten, die haben mich gekriegt“, sagte er. Und auch wenn er bis heute nicht ganz verstehe, warum man ausgerechnet ihn eingeladen hatte, in dieses „politisch so aufgeladene Fettnäpfchen-Dreieck aus deutsch, jüdisch, türkisch“, lud er alle ein, mit ihm hineinzuspringen.
Keine Angst vor falscher Rücksichtnahme
Kein schlechter Ansatz, näher kommt man sich schließlich nicht, indem man vorsichtig umeinander herumschleicht. Lieber draufhalten. Hinsehen. Nur so lässt sich wiederfinden, was, so Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, „in Deutschland an jüdischer Kunst und Kultur mit der Shoah verloren ging“.
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Angst vor falscher Rücksichtnahme hat auch Leo Hurwitz in „The Eichmann Show“ nicht. Während er als Regisseur im Film zunehmend besessen davon wird, eine menschliche Regung bei Eichmann einzufangen, eine winzige Regung der Reue – die nicht kommt –, verpasst er teilweise das unermessliche Leid der Überlebenden, die als Zeugen vor Gericht aussagen. Seine Agenda, sein unbedingter Wille, zu zeigen, dass das Böse nichts vom Menschen Abgespaltenes ist, die Gefahr nicht vorüber ist, solange es Menschen gibt, verschließt seine Augen vor der Wahrheit der Opfer. In diesem Nachdenken darüber, was schwerer wiegt – und wo der Faschismus beginnt –, liegt die ganz große Stärke dieses Films.
Das Jüdische Filmfest zeigt Filme vom 10. bis zum 20. Mai.
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