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Es darf auch mal knallig werden. Eigentlich mag Andrea Engler eher das Stille, aber es kommt auf die Stimmung an.

© Manfred Thomas

„Das Glück des Sammelns“: „Das bin Ich“

Andrea Engler kauft Kunst nicht nach Konzept, sondern nur nach ihrem Gefühl

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 Diese Werke werden nur selten in der Öffentlichkeit gezeigt. Sie erzählen über „Das Glück des Sammelns“. Bis zum 25. August stellt das KunstHaus in einer Ausstellung Kunst aus Privatbesitz vor. Acht Sammler geben Einblick in die von ihnen zusammengetragene ganz eigene Bilder- und Skulpturenwelt. In loser Folge stellen die PNN einige der Sammler vor. Heute Andrea Engler.

Sie haben Mut. Mit diesem Knallbonbon, wie Andrea Engler das „Blumenstilleben“ von Anton Henning liebevoll nennt, hat sich das Ehepaar einen wahren Sommerrausch in die Stube geholt. Die rotflammige florale Farbexplosion sprengt förmlich Vase und Bilderrahmen. Für ein paar Wochen haben sich die Englers nun von diesem lauttönenden Mitbewohner getrennt und ihn in das Kunsthaus gebracht: ins Reich des Sammlerglücks.

Dabei fühlen sie sich eigentlich gar nicht als Sammler. Zwar umgibt sich das Paar gern mit schönen Bildern und es ist auch schon eine stattliche Anzahl zusammengekommen – die Wände in der Fünf-Zimmer-Altbauwohnung in Berlin sind durchaus mit Kunst übersät –, aber sind sie deswegen richtige Sammler?

Andrea Engler, die elegante, feinsinnige Frau mit dem silberweißen Haar zeigte sich jedenfalls überrascht, als Renate Grisebach, die Geschäftsführerin des Kunsthauses, sie und ihren Mann fragte, ob sie sich an dieser Ausstellung beteiligen würden. Da sie seit ihrem Studium, also seit fast 50 Jahren, mit Renate Grisebach gut befreundet und zudem Mitglieder des Kunsthaus-Vereins sind, sagte das Ehepaar zu.

Wenn die 70-jährige Andrea Engler jetzt vor ihrer Wand steht, freut sie sich, dass ihre Bilder mit dabei sind. Denn in diesem sakral anmutenden hohen weißen Raum wirkt alles noch einmal ganz anders. Auch dieser Knallbonbon. Hier kann er noch vorlauter sein und mit der ganzen Kraft des Sommers wuchern. Die Schwarz-Weiß-Blätter daneben dämpfen etwas die Sinnesfülle und rahmen den Farbgiganten leisetretend ein. Eigentlich kaufen die Englers eher zurückhaltende Bilder, bevorzugen die Dynamik in Schwarz-Weiß. Aber wie die Stimmung eben so spielt. Mal ist sie im Hoch, mal im Tief und mal braucht sie eben einen starken Motor, der die Seele in Schwung bringt. „Wir kaufen nicht nach einem bestimmten Konzept oder Kriterien. Es geht uns allein um Emotionen, Ästhetik und um die Freude an schönen Dingen.“

Für Andrea Engler gehört Kunst einfach zum Leben dazu. Das war schon als Kind so. Sie erinnert sich an die Drucke von Van Gogh oder William Turner, die im Wohnzimmer hingen, und an das glückliche Strahlen ihrer Mutter, wenn sie gemeinsam durch Ausstellungen zogen. „Meine Mutter hatte immer einen Blick für Kunst.“ Und den hat sie an die Tochter weitergegeben. Andrea Engler stammt aus Templin. Doch nachdem sie 1945 ausgebombt wurden, zog die Familie nach Berlin. Erst wohnte sie im Prenzlauer Berg, dann in Westberlin. In ihrer Studentenbude hingen Plakate von Dali, Matisse, Picasso, erinnert sich Andrea Engler. „An meinen Wänden war immer Kunst, bloß die Wertigkeit hat sich mit den Jahren verändert.“ Und auch die Sichtweise.

Aufgewachsen ist Andrea Engler mit traditioneller Kunst. Doch schon als Studentin lernte sie immer mehr das Zeitgenössische schätzen. Das lag mit an ihren Freunden, die die angehende Volkswirtin gemeinsam mit ihrem späteren Ehemann Bernd-Ulrich vor allem unter den Kunststudenten fand. „Wissen lehrt Sehen.“

Andrea Engler strahlt eine sympathische Natürlichkeit aus. Wenn sie über ihre gesammelten Kunstwerke spricht, ist das wie eine Liebeserklärung. „Schauen Sie nur auf diesen expressiven Ausdruck, diese kokette Handbewegung und auf dieses tolle Grün“, sagt sie euphorisch und zeigt an die Kunsthaus-Wand auf das Bild von Martin Engelman, das an Picasso erinnert. Zu sehen ist eine Dame versteckt unter ausladendem Hut, die Finger gespreizt auf die Krempe gelegt. Engelman nannte es augenzwinkernd „Cocotte minute“, was so viel wie Schnellkochtopf heißt. Die Englers kannten den niederländischen Maler aus ihrer Studentenzeit. Das 1969 gemalte Bild haben sie aber erst nach dessen Tod 1992 von der Witwe gekauft. Es stand eingereiht in einem Stapel von Bildern. „Seine Frau hätte sich vielleicht gar nicht davon getrennt, aber sie brauchte Geld, um ein Werkverzeichnis ihres Mannes herausgeben zu können.“ Wenn die Englers wirklich etwas haben wollen, wie eben diesen Engelman, dann kaufen sie es. „Ich gucke erst auf die Bilder, dann auf den Preis. Als Volkswirtin will ich natürlich wissen, welchen Wert die Kunst auf dem Markt hat. Aber das ist nicht kaufentscheidend.“

Aber sind die Wände nicht irgendwann vollgehängt? Andrea Engler lächelt und zögert nicht mit der Antwort: „Wenn wir etwas Schönes sehen, das uns beiden gefällt, findet sich immer noch ein Platz. Und man kann ja die Bilder auch auf die Erde stellen.“ Außerdem gibt es ja noch das Ferienhaus auf dem Darß. „Wir sammeln jedenfalls nicht in den Aktenschrank. Was wir kaufen, wollen wir um uns haben.“

Oft hängen sie auch um, um Neues einzupassen. Das verjüngt zugleich den Blick auf die Stubenältesten. Und entfacht erneut Gespräche: mit Freuden, in der Familie. Die Kunst ist für sie mehr als eine stille Kulisse. Sie lädt ein zum Reden, auch wenn sie zur Alltäglichkeit geworden ist. So wie ihre Mutter ihr einst die Sinne für die Kunst auf ganz natürliche Weise schärfte, gibt Andrea Engler jetzt ihre Begeisterung ganz unaufdringlich an ihre zwei Kinder und vier Enkel weiter. Und zu Weihnachten und an den Geburtstagen wird auch mal ein kleines Bild verschenkt. „Man muss in der Kunst nicht alles gleich verstehen, man kann auch sagen: Es ist ein tolles Bild und sich erst langsam reinfinden. Man muss viel wissen, um einen Zugang zur modernen Kunst zu finden, um Gedankengänge der Künstler zu verstehen.“ Andrea Engler weiß indes um den hohen Wert dieser Inspiration: „Mit der Kunst zu leben, ist ein ganz besonderes Geschenk. Wir sind dankbar, dass wir es uns ermöglichen können.“

In jeder Stadt, die sie mit ihrem Mann bereist, besuchen sie zuerst die Galerien. Nicht Hand in Hand, sondern jeder für sich allein. „Ich bin sehr spontan in meiner Begeisterung, mein Mann braucht länger. Und dann kommt der Test: Entweder lehnt er meine Entdeckung total ab und ich muss sie fallenlassen oder er lässt sich überzeugen. Manchmal wächst die Liebe auch langsam und wird allmählich zu einer gemeinsamen Entscheidung.“ Kleine Sachen kauft sie auch für sich allein, für ihre Schreibtischecke.“ Da lässt sie sich nicht reinreden. Andrea Engler mag das Stille, das Beschauliche. Aber dann greift sie eben doch zu diesem Blumenstillleben, weil es einfach auf die richtige Stimmung traf und Erfrischung brachte.

„Extreme spiegeln auch mein Wesen wider.“ Versonnen steht sie vor ihrer großen Wand, sieht die Bilder in einem anderen Zusammenhang: in einer anderen Hängung als zu Hause. Einige Bekannte haben ihr zur Vernissage gesagt: Ich wusste, dass das deine Bilder sind. „Ja, das bin Ich. Das ist mein Leben.“ Er ist das erste Mal, dass sie so viel von sich öffentlich preisgibt.

Kunsthaus, Ulanenweg 9, Mi 11 bis 18 Uhr, Do/Fr 15 bis 18 Uhr, Sa/So 12 bis 17 Uhr

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